Geschlecht, Sozialschutzsysteme und untere Beamte
Die unteren Beamten sind weltweit das „menschliche Antlitz“ der Systeme zur Bereitstellung des Sozialschutzes. Bisher hat sich ein Großteil der Literatur über Sozialschutz mit Geschlechterfragen in Bezug auf die Gestaltung von Politiken und Programmen sowie erwarteten und unerwarteten Ergebnissen befasst. Dagegen erfordert das wachsende Interesse an geschlechtsgerechten und rechtebasierten Sozialschutzsystemen zusätzlich einen Schwerpunkt auf Einzelpersonen, die als Vermittler im Verhältnis zwischen den Bürgern und diesen Systemen auftreten und dabei den Staat als Pflichtträger bei der Umsetzung des Rechts auf Sozialschutz vertreten. Ein Großteil der bestehenden Arbeit der unteren Beamten (UB) konzentriert sich auf die Anwendung ihres Ermessens im direkten Umgang mit den Leistungsempfängern sowie darauf, wie dies die Erfahrung der Leistungsempfänger prägt. Dieser Artikel adaptiert und erweitert den Rahmen von Durose und Lowndes (2024) zum Begreifen von Geschlecht und Ermessen der UB, und zwar 1) nach Maßgabe der geschlechterspezifischen Gesetze, Politiken und Leitlinien der Institutionen, an denen die UB arbeiten, 2) durch Darstellung der UB als geschlechterspezifische Akteure sowie 3) aufgrund der geschlechterspezifischen Auswirkungen auf die Begünstigten dieser Politiken. Obwohl der Rahmen in einem Zusammenhang mit hohen Einkommen sowie zum Verständnis eines anderen Bereichs (Polizei) entwickelt wurde, bleiben diese drei analytischen Aussagen für UB in Sozialschutzsystemen aufrecht. Dennoch legen wir nahe, dass das Verständnis der Rolle der UB in Sozialschutzsystemen zwei zusätzliche Überlegungen aus einer Menschenrechtsperspektive erfordert: 4) Ermessen nach Maßgabe des geschlechterspezifischen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhangs, in dem die UB handeln und die Sozialschutzsysteme bestehen, sowie 5) die UB als Träger von Rechten über ihren Ermessensspielraum hinaus, nämlich des Rechts auf soziale Sicherheit und des Rechts auf menschenwürdige Arbeit. Der Artikel arbeitet diesen Rahmen im Gespräch mit Experten in Sozialschutzsystemen in der großen Bandbreite ihrer jeweiligen Zusammenhänge aus. Daraus erfolgt ein analytischer Beitrag zur aufkommenden Literatur über geschlechtsgerechte Sozialschutzsysteme aus dem Blickwinkel der Bereitstellung im unmittelbaren Umgang mit den Leistungsempfängern sowie der Menschenrechte, einschließlich des Verhältnisses zu den Zielen der nachhaltigen Entwicklung Nr. 5 (Geschlechtergleichheit) und Nr. 1.3 (Sozialschutzsysteme für Alle).