Sozialschutz und die Plattformwirtschaft: Der ungewöhnliche Ansatz des französischen Gesetzgebers

Autoren:
Isabelle Daugareilh

Nummer:
Band 74 (2021), Nummer 3-4 (Sonderausgabe)

Link zum vollständigen Artikel:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/issr.12279

Im Hinblick auf den Sozialschutz von Plattformbeschäftigten leitete der französische Gesetzgeber im Jahr 2016 und später 2019 Schritte ein, um diese Arbeitnehmer zur Deckung bestimmter Risiken (Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten) in das allgemeine System der sozialen Sicherheit aufzunehmen und die entsprechende Leistungsangemessenheit (durch einen möglichen Zugang zu einer Zusatzdeckung) zu verbessern. Diese Schritte beruhen allerdings auf einander entgegengesetzten Sichtweisen. Anstatt dass die rechtliche Verantwortung des Arbeitgebers gegenüber der Gesundheit und Sicherheit des Arbeitnehmers erhöht wird, besteht nun eine Verantwortung seitens der Plattform, zu der sich diese aber nur auf freiwilliger Basis im Rahmen der Sozialverantwortung des Unternehmens verpflichtet. Dadurch droht eine Fragmentierung der Leistungen der sozialen Sicherheit, die nun von jeder einzelnen Plattform festgelegt werden, wodurch die Praxis des gegenseitigen Schutzes und der Risikoverteilung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern – der Kerngedanke der sozialen Sicherheit – ausgehöhlt wird. Der Gesetzgeber hat also das historische Verhältnis aufgekündigt, dessen Ziel der gesellschaftliche Zusammenhalt war, und er hat auf verschiedene Weise der Privatisierung und Rekommerzialisierung der sozialen Sicherheit im Interesse privatwirtschaftlicher Versicherungsunternehmen Vorschub geleistet. Außerdem wurde das französische Arbeitsrecht dafür als trojanisches Pferd benutzt. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zum übereinstimmenden Standpunkt internationaler Organisationen wie Europäische Union, Internationale Arbeitsorganisation und Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die allesamt empfehlen, dass die Staaten das Recht auf Sozialschutz für alle Arbeitnehmer in atypischer und nicht lohnabhängiger Beschäftigung in ihren Gesetzen festschreiben. Anstatt die gemeinsamen Herausforderungen für Arbeitnehmer, die für digitale Plattformen tätig sind, zu identifizieren und spezifische Maßnahmen für ihre Situation anzubieten, wird Plattformarbeit im französischen Arbeitsrecht lediglich als eine der neuen Formen atypischer Arbeitsverhältnisse beschrieben, deren Protagonisten entweder den Status von Angestellten oder von Selbstständigen haben können.

Themen:
Beschäftigungspolitiken
Plattformbeschäftigte
Stichworte:
Gesetzgebung der sozialen Sicherheit
Sozialschutz
atypische Beschäftigung
platform workers
Länder:
Frankreich