Interview mit Karen De Sutter, Generaldirektorin ad interim, Hilfszahlstelle für Arbeitslosenunterstützungen (Caisse auxiliaire de paiement des allocations de chômage – CAPAC), Belgien, im Zusammenhang mit dem Internationalen Frauentag am 8. März 2022.
Wie sehen Sie die Rolle der sozialen Sicherheit bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Frauen in der Gesellschaft?
Soziale Sicherheit ist eine Voraussetzung für Wohlstand. Die Solidarität zwischen Arm und Reich, Jung und Alt, Gesunden und Kranken ist der Schlüssel und Grundstein für Gleichberechtigung und Fortschritt. Diese Solidarität macht keinen Unterschied und garantiert den Schutz aller. Sie trägt automatisch zur Gleichberechtigung der Geschlechter bei. Und das ist notwendig, denn auch heute noch muss man feststellen, dass die Gesellschaft nicht frei von Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen ist, was Chancen und Bezahlung betrifft, aber auch was die Rollen betrifft, die Frauen spielen, was es für sie oft schwieriger macht, als gleichberechtigt angesehen zu werden.
Während die soziale Sicherheit Unterstützung, Schutz und Gleichheit bietet, muss die Gesellschaft noch Barrieren abbauen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu verwirklichen und Frauen die gleichen Chancen zu bieten.
Haben Sie seit Beginn der Pandemie Veränderungen in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter festgestellt und welche Rolle hat die soziale Sicherheit Ihrer Meinung nach gespielt, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie auf Frauen zu verringern?
Das Coronavirus hat unser Leben stark beeinflusst. Wir sind uns jedoch nicht mehr bewusst, inwieweit unser Sozialversicherungssystem dafür sorgt, dass wir uns trotz dieser beispiellosen Krise kaum Sorgen machen müssen, z. B. um die Erschwinglichkeit der Gesundheitsversorgung. Auch viele Bürger, die teilweise oder ganz arbeitslos geworden sind, müssen sich keine Sorgen um ihr Einkommen machen.
Die Coronavirus-Krise hat einmal mehr bestätigt, wie wichtig die soziale Sicherheit für unsere Gesellschaft ist. Eine soziale Sicherheit, die durch Solidarität ein Sicherheitsnetz für alle bietet, die es brauchen - unabhängig von Geschlecht, Alter, Status oder Herkunft - und eine dämpfende Wirkung auf wirtschaftliche Schocks hat. So mussten die Arbeitgeber dank der befristeten Maßnahmen nicht auf Entlassungen zurückgreifen und viele Menschen konnten ihren Arbeitsplatz dank der Gewährung von Leistungen behalten.
Die Pandemie schloss auch Frauen von der Beschäftigung aus. Die soziale Sicherheit garantiert die Gleichheit der Hilfe und bietet Schutz, damit die Grundbedürfnisse weiterhin befriedigt werden können und keine Ungleichheit entsteht. Die soziale Sicherheit ist unbestreitbar wichtig, um diese Gleichheit zu gewährleisten.
Welche Botschaft haben Sie als Leiterin einer großen Sozialversicherungsorganisation am Internationalen Frauentag an die weltweite Gemeinschaft der Sozialversicherungen?
Die Gleichstellung der Geschlechter basiert in erster Linie auf Einfluss. Dieser wird heute weitgehend von Männern bestimmt. Frauen sind in Führungs- und Managementpositionen immer noch stark unterrepräsentiert, was ihnen nur einen begrenzten Einfluss auf die Politik ermöglicht. Darüber hinaus tragen Frauen das größte Risiko, von Armut und Gewalt betroffen zu sein. Nichtsdestotrotz spielen Frauen in allen Gesellschaften eine unverzichtbare Rolle, insbesondere indem sie unbezahlte, aber absolut wichtige Betreuungsaufgaben übernehmen. Der Internationale Frauentag ist daher eine ideale Gelegenheit, allen Frauen zu danken und ihnen die Aufmerksamkeit und den Respekt zukommen zu lassen, die sie verdienen.
Heute ehren wir Frauen auf der ganzen Welt, aber Gloria Steinem hat es treffend ausgedrückt: "Die Geschichte des Kampfes der Frauen für Gleichberechtigung gehört nicht nur einer einzelnen Feministin oder Organisation, sondern ist Teil der kollektiven Bemühungen all derer, denen die Menschenrechte am Herzen liegen".