Bericht

Veränderte Arbeitsbedingungen und öffentliche Rentendeckung

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Veränderte Arbeitsbedingungen und öffentliche Rentendeckung

Führt die zunehmende Selbstständigkeit zu mehr Altersarmut? In einem neu erschienenen Bericht der IVSS werden das Aufkommen neuer Arbeitsformen und deren Folgen für die Rentenbeiträge und -leistungen analysiert. Ein Befund lautet, dass alternative Arbeitsformen nicht immer ohne eine Deckung durch soziale Sicherheit auskommen müssen, dass dabei aber ein höheres Risiko besteht, dass weniger Rentenleistungen angespart werden.

In den letzten Jahren war viel von der Gig Economy die Rede, die sich durch befristete Verträge, Selbstständigkeit und freiberufliche Tätigkeit auszeichnet. Der Bericht The changing nature of work and public pension coverage: Evidence from the US and Europe (Veränderte Arbeitsbedingungen und öffentliche Rentendeckung: Daten aus den Vereinigten Staaten und Europa), der vom Fachausschuss für Forschung und Analyse der Politik der sozialen Sicherheit der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) veröffentlicht wurde, untersucht das Aufkommen atypischer Arbeitsformen und deren Auswirkungen auf die Rentendeckung in Deutschland, im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten. Diese drei Länder verfügen über sehr unterschiedliche Rentensysteme, stehen aber bei langfristigen Maßnahmen zur Bewältigung der Zunahme selbstständiger Arbeit vor ähnlichen Herausforderungen.

Bei der Vorstellung des Berichts am Weltforum für soziale Sicherheit im Oktober 2019 in Brüssel sagte Carl Emmerson, Stellvertretender Direktor des Instituts für Finanzstudien des Vereinigten Königreichs: „In Deutschland hat ein verrenteter Selbstständiger mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit mit größeren finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen als ein verrenteter Angestellter. Auch im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten haben wir bei den Rentnern, die früher selbstständig gearbeitet haben, größere finanzielle Schwierigkeiten gefunden als bei Rentnern, die in ihrem Arbeitsleben fest angestellt waren.“

Das Aufkommen alternativer Arbeitsvereinbarungen

Zu den alternativen Arbeitsvereinbarungen zählen verschiedene Arten der Arbeit für Geld wie etwa die Arbeit als unabhängige Auftragnehmer, als Arbeitnehmer auf Abruf, als Angestellte einer temporären Arbeitsvermittlung, als vorübergehend Beschäftigte oder als Selbstständige. Der Bericht kommt entgegen seiner Überschrift zum Schluss, dass bisher wenig getan wurde, um die Verbreitung atypischer Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen. Dies heißt aber nicht, dass das Thema kein dringendes wäre. Im Vereinigten Königreich beispielsweise beruhen 40 Prozent des Arbeitsmarkts auf selbstständiger und temporärer Beschäftigung.

Alternative Arbeitsvereinbarungen können eine Reihe von Vorteilen bieten wie etwa Flexibilität, steuerliche und rechtliche Vorteile. Andererseits verfügen Selbstständige aber oft über unsicherere Arbeitsbedingungen und einen geringeren Zugang zu Sozialschutzleistungen (wie etwa zu Rentensystemen), die an herkömmliche Beschäftigungsverhältnisse gebunden sind.

So etwa können Personen in atypischer Beschäftigung in den Vereinigten Staaten Beiträge zur sozialen Sicherheit leisten und tun dies in der Regel auch, um Anspruch auf Leistungen zu erhalten; ihr Einkommen fällt jedoch im Durchschnitt niedriger aus, ist größeren Schwankungen unterworfen und wird häufiger nicht deklariert als bei Personen in einer Standardbeschäftigung. Wer im Rentensystem des Vereinigten Königreichs als Selbstständiger arbeitet, erwirbt Leistungsansprüche, die in etwa denjenigen von Angestellten vergleichbar sind, aber stark von der Höhe und Verteilung des Erwerbseinkommens abhängen, so dass aktuell fast 20 Prozent der Selbstständigen keinen staatlichen Rentenanspruch haben. Im deutschen Rentensystem – dem weltweit ältesten formellen Rentensystem – sind Selbstständige nicht durch die Hauptsäule des öffentlichen Rentensystems gedeckt, sie können jedoch freiwillig Beiträge leisten.

Obwohl also Arbeitnehmer in atypischer Beschäftigung Zugang zu Sozialschutz- und Rentensystemen erlangen können, fällt die Höhe ihrer Rentenleistungen oft geringer aus als bei herkömmlich Beschäftigten. Diese Aussage trifft in den untersuchten Ländern am stärksten auf Deutschland zu, wo es in der Vergangenheit für Selbstständigkeit und Minijobs keine Rentenversicherungspflicht gab. Auch im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten besteht die Sorge, dass das geringere und häufig nicht deklarierte Einkommen atypisch Beschäftigter zu geringeren Rentenleistungen führen wird als bei Festangestellten.

Auch wenn die Zunahme alternativer Arbeitsvereinbarungen nicht so stark ausgefallen ist wie prognostiziert, so ist der Trend für die Zukunft doch schwer vorherzusagen. Es besteht weiterhin die Sorge, dass Arbeitnehmer in solchen Arbeitsverhältnissen, insbesondere wenn sie einen Großteil ihrer Lebensarbeitszeit darin verbringen, nicht so viele Rentenansprüche anhäufen können. Wie der Bericht zeigt, tätigen Selbstständige im Vereinigten Königreich, in den Vereinigten Staaten und in Deutschland mehr Kapitalanlagen im Verhältnis zum Einkommen als Festangestellte, womöglich um ihre Rentendeckungslücke zu kompensieren. Die wichtigste Aussage jedoch lautet, dass Menschen mit alternativen Arbeitsvereinbarungen aufgrund ihrer geringeren Rentenansprüche später im Ruhestand oft einem größeren Risiko finanzieller Unsicherheit ausgesetzt sind.