Durch strategische Partnerschaften und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) stärken Mitgliedsinstitutionen der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) die Reichweite, den Umfang und die Angemessenheit der Deckung durch die soziale Sicherheit.
In ganz Afrika verfügen praktisch alle Länder über Systeme und Programme der sozialen Sicherheit, die in der Theorie die große Mehrheit der Bevölkerung decken. Der politische Diskurs über die Ausweitung der Deckung der letzten Jahrzehnte hat zur Verabschiedung neuer Gesetze über die Ausweitung des Deckungsumfangs und die Reform bestehender Systeme geführt, mit denen zuvor ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen wie informelle und selbstständige Arbeitnehmer einbezogen werden, die nun freiwillig an gesetzlichen Programmen der sozialen Sicherheit teilnehmen können.
Die wirksame Ausweitung der Deckung bleibt jedoch weiterhin eine Herausforderung infolge des Gefälles zwischen der Programmgestaltung und den sozioökonomischen Realitäten der am stärksten gefährdeten Gruppen der Gesellschaft. In einer vorwiegend informellen und landwirtschaftlich geprägten Wirtschaft fehlt es den Bevölkerungsgruppen im Erwerbsalter sowohl an der Möglichkeit, sich bei Rechtsverletzungen zu wehren, als auch an den finanziellen Ressourcen, um aktiv an gesetzlichen beitragsabhängigen Sozialversicherungsprogrammen teilzunehmen. Angesichts gleichzeitig deutlich zu tiefer Investitionen in Sozialhilfe und in wesentliche und universelle Gesundheitsversorgungsprogramme bleibt Afrika der Kontinent mit den weltweit niedrigsten effektiven Deckungsraten für soziale Sicherheit.
Laut Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO, 2021) verfügen nur 17,4 Prozent der Bevölkerung Afrikas über einen wirksamen Zugang zu mindestens einer Form von Sozialschutzleistung. Die Zahlen variieren je nach Land und Zweig der sozialen Sicherheit. Ausnahmen bilden Länder wie Botsuana, Cabo Verde, Eswatini, Lesotho, Mauritius, Namibia, die Seychellen und Südafrika, die eine universelle Deckung durch die Altersrente erreicht haben, indem sie beitragsabhängige und nichtbeitragsabhängige Leistungen ergänzend einsetzen. Die IVSS hat überdies dokumentiert, wie die Deckung je nach Zweig und Bevölkerungsgruppe variiert (IVSS, 2021).
Soziale Sicherheit ist nicht nur ein grundlegendes Menschenrecht. Sie birgt ein entscheidendes und enormes sozioökonomisches Potenzial für Einzelpersonen und die Gesellschaft. Die wirksame Ausweitung der sozialen Sicherheit ist das Ergebnis guter Programmgestaltung, angemessener und nachhaltiger Finanzierung und der administrativen Kapazitäten zur Durchsetzung der Sozialversicherungsgesetzgebung. Das heißt, dass während Programmgestaltung und Finanzierungsstrategie eine entscheidende Rolle bei der Festlegung der möglichen Deckungsgrade spielen, es von den administrativen Kapazitäten abhängt, ob Menschen erreicht, erfasst, Beiträge eingezogen sowie Leistungen ausgezahlt und Dienstleistungen erbracht werden und so die Deckung wirksam ausgeweitet wird.
Angesichts der zweifachen Herausforderung der informellen Beschäftigung und der Ausweitung der Sozialversicherungsdeckung bleibt die Verbesserung der administrativen Kapazitäten von Institutionen der sozialen Sicherheit ausschlaggebend. Um auf diese Notwendigkeit einzugehen, setzen die IVSS-Mitgliedsinstitutionen strategische Partnerschaften und moderne IKT-Lösungen ein, um ihre administrativen Kapazitäten zu verbessern, die Wirksamkeit zu erhöhen und effizientere Leistungen und Dienstleistungen für immer mehr Personen zu erbringen, die in vielfältigen Notsituationen und in Armut leben. Der vorliegende Artikel bietet einen Überblick über einige Maßnahmen, die im Rahmen des Wettbewerbs um den IVSS-Preis für gute Praxis für Afrika 2020 präsentiert wurden. Dazu wirft er einen Blick auf politische und administrative Erwägungen hinsichtlich der Ausweitung der Deckung durch die soziale Sicherheit.
Politische und administrative Erwägungen hinsichtlich der Ausweitung der Deckung durch die soziale Sicherheit
Die Ausweitung der Deckung durch die soziale Sicherheit hat drei Dimensionen – Umfang, Reichweite und Angemessenheit. Während der Umfang und die Angemessenheit der Deckung von Politik und Gesetzgebung abhängen, die die abgedeckten Bevölkerungsgruppen und Notfälle, die Finanzierungsstrategie, die Anspruchsvoraussetzungen, die Dauer der Leistung, die versicherbaren Einkommen, die Berechnungsformeln für beitragsabhängige Programme und den Leistungsbetrag für nichtbeitragsabhängige Programme festlegen, ergibt sich die Reichweite der Deckung aus den administrativen Kapazitäten. Nachstehende Abbildung zeichnet ein Bild der Verzahnung und der Erfordernisse für die wirksame Ausweitung der Deckung.
Unabhängig von Programmgestaltung und politischen Erwägungen sind Institutionen der sozialen Sicherheit in erster Linie öffentliche Dienstleistungserbringer. Bei der Umsetzung der Gesetzgebung im Bereich der sozialen Sicherheit setzen sie entweder auf bestehende Lösungen oder sie bevorzugen innovative Ansätze. Letztere wiederum führen zur Entwicklung von Instrumenten für öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur und ergänzen so die Erfüllung des Mandats zur Verwaltung und Bereitstellung von Sozialschutz für alle.
Ein typisches Beispiel hierfür ist die Einführung von sozialen Melderegistern durch Institutionen der sozialen Sicherheit, die sodann als Referenz für die nationale Personenidentifikation dienen. Alternativ können sich Sozialschutzverwaltungen auf nationale Datenbanken stützen, um mögliche Leistungsempfänger oder Beitragszahler für Sozialschutzprogramme zu ermitteln und aufzunehmen.
Logisch betrachtet sind niedrigere Deckungsgrade in Sozialschutzprogrammen durch drei Faktoren charakterisiert – Ausgrenzung, Informalität und Nichteinhaltung der Bestimmungen. Hinzu kommt das Fehlen des wirksamen Zugangs zu Leistungen und Dienstleistungen. Gelingt es den Institutionen der sozialen Sicherheit nicht, mögliche Leistungsempfänger oder Beitragszahler zu erreichen und zu sensibilisieren, zu erkennen und zu erfassen, führt dies meist zur Ausgrenzung von theoretisch gedeckten Personen und Bevölkerungsgruppen, mit dem Ergebnis niedriger Deckungsraten.
Zudem führt die Unfähigkeit, die Einhaltung der Bestimmungen durchzusetzen und Beiträge einzuziehen, in einer überwiegend informellen Wirtschaft zu Lücken zwischen globalen und effektiven Deckungsraten für beitragsabhängige Programme der sozialen Sicherheit. Unwirksamer Zugang zu Leistungen und Dienstleistungen unterhöhlt die Wirkkraft von Sozialschutzmaßnahmen und -programmen.
In Afrika haben die IVSS-Mitgliedsinstitutionen strategischen Partnerschaften und modernen IKT‑Lösungen zur Verbesserung ihrer administrativen Kapazitäten besondere Beachtung geschenkt, um so die Wirksamkeit zu erhöhen und die Effizienz bei der Verwaltung und Ausweitung der Deckung auf gefährdete und anspruchsberechtigte, aber nicht gedeckte Bevölkerungsgruppen zu verbessern, wie nachfolgend näher ausgeführt wird.
Ausgrenzung bekämpfen
Ausgrenzung ist ein grundlegender Treiber für eine geringe Deckung durch die soziale Sicherheit in Afrika. Ausgrenzung ergibt sich sowohl aus Politik- und Programmgestaltung als auch aus Umsetzungsfehlern. Im Wesentlichen sind Sozialschutzprogramme in Ländern des ganzen Kontinents auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet, mit Ausnahme einiger tatsächlich universeller Gesundheitsversorgungsprogramme in Ländern wie Mauritius. So sind etwa universelle Sozialrenten auf ältere Menschen ausgerichtet; universelles Kindergeld geht an Familien mit Kindern und obligatorische Sozialversicherungsprogramme sind für formell Beschäftigte ausgelegt. Darüber hinaus richten sich freiwillige Sozialversicherungsprogramme implizit an Personen und Personengruppen, die in der Lage sind, entsprechende Beiträge auch tatsächlich zu entrichten.
Abgesehen vom Ausschluss durch die Programmgestaltung führen auch Umsetzungsfehler zu Ausgrenzung in Form von Lücken, insbesondere bei nichtbeitragsabhängigen, bedürftigkeitsgeprüften, bedingten und/oder armutsbekämpfenden Programmen. Ausgrenzung entsteht ebenso, wenn es den Institutionen der sozialen Sicherheit nicht gelingt, theoretisch gedeckte Personen und Bevölkerungsgruppen aufgrund verwaltungstechnischer und infrastruktureller Zwänge beim Zugang zu Enklaven und geografisch entlegenen Gebieten zu erreichen und zu erfassen. Angesichts dieser Herausforderungen haben sich mehrere IVSS‑Mitgliedsinstitutionen in Afrika entschlossen, das Problem anzugehen.
Um beispielsweise die niedrigen Deckungsraten der sozialen Sicherheit – laut Schätzungen weniger als 20 Prozent – und die überwiegend informelle Beschäftigung in Kenia anzugehen, führte die Rentenkasse der Gemeinden (Local Authorities Pension Trust – LAPTRUST) eine digitale Marketing-Kampagne durch, durch die Wissen über bestehende Bestimmungen der sozialen Sicherheit verbreitet und die Deckung auf den informellen Sektor ausgeweitet werden sollte. Die Kampagne mit dem Namen Eneza Pensheni – Verbreitung der Rente auf Swahili – nutzte das gut ausgebaute Mobilfunknetz und die gute Internetdurchdringung, um mobile Apps zu schaffen, mit denen das System die sogenannten schwer abzudeckenden Personengruppen erreichen konnte, die einen Großteil der informellen Wirtschaft ausmachen (Rentenkasse der Gemeinden, 2020a).
Auf den Seychellen nutzte die Rentenkasse der Seychellen (Seychelles Pension Fund – SPF) Aspekte des Verbraucherverhaltens, um die Deckung durch die soziale Sicherheit durch ein strategisches Vorgehen mit dem Programm Neukunden-Gutscheine für freiwillige Beiträge über die gesetzlich gedeckten Bevölkerungsgruppen hinaus auszuweiten. Das Programm versuchte, Mechanismen zu ermitteln, wie bestehende Beitragszahler und/oder Rentnerinnen und Rentner das Verhalten von potenziellen Beitragszahlern beeinflussen könnten, damit sie der freiwilligen Versicherung der SPF beitreten.
Die Institutionen erkannten die Wichtigkeit der sozialen Sicherheit und nutzten Verhaltensmuster der Bevölkerung in Verbindung mit bestimmten Ereignissen und Daten wie Weihnachten, Valentinstag, Muttertag und Frauentag, um einen Geschenkgutschein anzubieten, mit dem eine versicherte Person einer ihr nahestehenden Person ein Einstiegspaket für das freiwillige Beitragssystem schenken konnte. Das Programm wurde auf andere besondere Ereignisse und Daten ausgeweitet, zum Beispiel Geburtstage, sodass versicherte Personen ihnen nahestehende Personen beim Programm für freiwillige Versicherung anmelden und sich zur Zahlung von Beiträgen durch von ihren Arbeitgebern an die SPF abgeführte Lohnabzüge verpflichten konnten (Rentenkasse der Seychellen, 2020a). Das Programm für Neukunden-Gutscheine zum Einstieg in das freiwillige Beitragssystem weitet die Deckung auf Personen mit geringer Fähigkeit zur Zahlung von Versicherungsbeiträgen aus – dank des guten Willens von ihnen nahestehenden Personen in formeller Beschäftigung. Dadurch verringert es die Ausgrenzung.
Die Rentenkasse der Seychellen setzt sich auch dafür ein, die Ausgrenzung zu minimieren, indem sie durch Kommunikations- und Sensibilisierungskampagnen Wissen über die soziale Sicherheit verbreitet, wodurch das Vertrauen der Mitglieder und der potenziellen Mitglieder gestärkt wird. Ein Beispiel ist die Kampagne Protecting you: Informal sector campaign (Wir schützen Sie: Kampagne im informellen Sektor). Sie hat es der Rentenkasse ermöglicht, Fischer in ihrer alltäglichen Umgebung zu kontaktieren, indem verschiedene Strategien angewandt wurden, darunter eine Partnervereinbarung mit der Vereinigung der Bootsbesitzer, um Fischer zu ermuntern, zur Vorbereitung ihres Ruhestands Beiträge an die SPF zu entrichten. Diese Sensibilisierungskampagne für Fischer aus dem Fischereigewerbe der drei Hauptinseln wurde für maximale Werbung auch auf nationalen Medien geführt und führte zu Neuanmeldungen und Nachzahlungen von Beitragslücken (Rentenkasse der Seychellen, 2020b).
Auf ganzheitlicherer Kommunikationsebene produzierte die SPF Comic-Strips zu Bildungszwecken, die in nationalen Medien erschienen, um Wissen über die soziale Sicherheit unter die Leute zu bringen. Diese Comicstrips bieten der Rentenkasse eine kostengünstige wirkungsstarke Plattform, um sich direkt an die Bevölkerung zu wenden und Informationen aus erster Hand bereitzustellen, eine reibungslosere Beziehung herzustellen, Vertrauen zu den Mitgliedern aufzubauen und Falschinformationen vorzubeugen. So wurde die Reichweite vergrößert und eine weitreichende Wirkung im Kampf gegen Ausgrenzung erzielt (Rentenkasse der Seychellen, 2020c).
Während Institutionen der sozialen Sicherheit versuchen, Menschen aus schwer zu deckenden Bevölkerungsgruppen und in entlegenen Regionen durch den strategischen Einsatz moderner IKT-Lösungen zu erreichen, zu erfassen, in Sozialschutzprogramme aufzunehmen und zu schützen, sehen sie sich zusätzlich einem komplexeren Phänomen weitverbreiteter informeller Beschäftigung gegenüber, das weitreichende Folgen für die Raten bei Mitgliedschaft und Einhaltung der Bestimmungen nach sich zieht.
Bekämpfung der informellen Beschäftigung und Verbesserung der Einhaltung der Bestimmungen
Neben der Ausgrenzung durch Gestaltung und/oder Umsetzungslücken ist die weitverbreitete informelle Beschäftigung ein wichtiges Hindernis für die Ausweitung der Deckung in Entwicklungs- und Industrieländern gleichermaßen. Im Allgemeinen wirkt sich die informelle Wirtschaft negativ auf den Grad der Einhaltung der Bestimmungen aus und begünstigt Hinterziehung und Betrug bei Steuern wie Beiträgen der sozialen Sicherheit (Mineva und Stefanov, 2018).
Hohe Niveaus der Informalität bewirken meist hohe Niveaus informeller und prekärer Beschäftigung. Dies schränkt die Durchsetzbarkeit von gesetzlichen Bestimmungen der sozialen Sicherheit ein und begünstigt die Nichtmitgliedschaft und/oder die Nichteinhaltung der Bestimmungen. Beispielsweise können Arbeitgeber bewusst die gesetzlichen Bestimmungen der sozialen Sicherheit, wonach Mitarbeitende zum Zweck der sozialen Sicherheit zu melden und zu erfassen sind, wegen hoher Niveaus informeller Wirtschaft ignorieren. Oder sie können Mitarbeitende als Dienstleister einstufen, insbesondere im Falle von Plattformbeschäftigten, bei selbstständiger Beschäftigung und/oder mitarbeitenden Familienangehörigen. Dadurch befreien sie sich selbst unrechtmäßig von der Pflicht, die Mitarbeitenden anzumelden, zu erfassen und für sie Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten – mit weitreichenden Folgen für die Deckungsraten.
Informalität hat vielseitige negative Folgen für Systeme der sozialen Sicherheit. Angefangen bei Zugangsbarrieren für bestimmte Bevölkerungsgruppen, die zum Verlust von Deckungspotenzial in Form niedrigerer Deckungsraten und verlorener Beitragseinnahmen führen, bis hin zu den negativen soziopolitischen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Systeme der sozialen Sicherheit. Gelingt es den Institutionen nicht, Beitragszahler zu ermitteln und zu erfassen sowie die Einhaltung der Bestimmungen bei allen gesetzlich gedeckten Personen und Bevölkerungsgruppen durchzusetzen, so führt dies zu erfolgreicher Hinterziehung und zu Betrug bei den Beiträgen zur sozialen Sicherheit.
Als Reaktion auf die Herausforderung durch die Informalität und die Nichteinhaltung der Bestimmungen startete die Landeskasse für soziale Sicherheit (Caisse nationale de sécurité sociale – CNSS) Tunesiens das Programm Protège-moi (Schütze mich) durch eine Partnerschaft mit den Ministerien für Soziales, Frauen, Landwirtschaft und Kommunikationstechnologien, einem Telekommunikationsanbieter (TT) und einem privaten Tech-Start-up. Ziel des Programms war es, die Deckung durch die soziale Sicherheit auf in der Landwirtschaft arbeitende Frauen in ländlichen Gebieten auszuweiten. Durch das Programm wurde eine Gesetzesänderung im Bereich der sozialen Sicherheit erreicht, sodass befristete Arbeitnehmer und Saisonarbeiter in der Landwirtschaft einbezogen und ihnen gleichzeitig flexiblere Vorkehrungen für die Zahlung der Beiträge geboten wurden (Landeskasse für soziale Sicherheit, 2020).
Die Erfahrung der CNSS zeigt, wie Verwaltungen der sozialen Sicherheit Gesetzesänderungen bewirken können, um die Deckung auf den Großteil der Bevölkerung auszuweiten, und wie sie sich dabei auf Technologie stützen können, um mögliche Versicherte aus den sogenannten schwer zu deckenden Gruppen zu erreichen, zu erfassen und von ihnen Beiträge einzuziehen. Dennoch kann die Einführung einer freiwilligen Versicherung – anstelle der Förderung der formellen Beschäftigung und gesetzlichen Versicherung mittels gezielter Maßnahmen – im Kontext weitverbreiteter Informalität, prekärer Beschäftigungsverhältnisse, mangelnder Ressourcen zur Entrichtung von Beiträgen usw. die wirksame Deckungsausweitung wegen der hohen Ausfallrisiken bei Beitragszahlungen nicht gewährleisten.
Strategische Partnerschaften und der Einsatz moderner IKT-Lösungen erweisen sich in dieser Hinsicht als höchst wichtig. In Mali etwa verwaltete die Landesanstalt für Sozialversicherung (Institut national de prévoyance sociale – INPS) ihre freiwillige Versicherung zusammen mit einer privaten Gesellschaft im Rahmen des Projekts zur sozialen Eingliederung: SAER-EMPLOI-AV+. Dieses Projekt wurde als Antwort auf das fehlende Bewusstsein unter Selbstständigen, informellen Arbeitnehmern und freiberuflichen Arbeitnehmern über die Existenz der Deckung durch die soziale Sicherheit bei gleichzeitig strengen Zugangskriterien entworfen und umgesetzt (Landesanstalt für Sozialversicherung, 2020).
Das Projekt sah Kommunikationskampagnen vor, um das Bewusstsein unter den Zielgruppen zu heben, außerdem die Vereinfachung des Anmeldeprozesses und das Angebot von Fristen für Beitragszahlungen, den Einsatz elektronischer Zahlungsmethoden (E-Banking, Orange-Money, Mobicash usw.) sowie die Möglichkeit der Ratenzahlung (pro Tag, Woche Monat), um die finanzielle Belastung zu senken. Eine wesentliche innovative Komponente von SAER-EMPLOI-AV+ ist seine weltweite Anwendung, wodurch malische Staatsangehörige auf der ganzen Welt gedeckt sind. Bisher funktioniert das Projekt in vollem Umfang für angrenzende Länder und Regionen wie Côte d’Ivoire, Ghana und Kamerun (Douala), in denen eine große Anzahl Migranten aus Mali tätig sind, und es bietet somit Schutz zu Hause auf der Grundlage von Erwerbseinkommen im Ausland (Landesanstalt für Sozialversicherung, 2020).
In einer ähnlichen Entwicklung nutzte Kenias Rentenkasse der Gemeinden (Local Authorities Pension Trust – LAPTRUST) ihre strategischen Partnerschaften, um mit der Initiative Save As You Spend (Spare beim Ausgeben) die Rentendeckung auszuweiten und die Einhaltung der Bestimmungen im informellen Sektor zu verbessern. Die Umsetzung der Initiative erforderte die Einrichtung eines individuellen Rentenplans, Mpension, der ursprünglich auf den informellen Sektor ausgerichtet war. Er nutzt die Dienste einer führenden Bank und eines großen Telekomdienstleisters im Land, um Beitragszahler zu erfassen die sich über eine USSD-Nummer einwählen und Beiträge über die Mobilfunkgeldbörse (Wallet) entrichten können (Rentenkasse der Gemeinden, 2020b).
Das System wurde entworfen, um die Ausgabenmuster einzelner Beitragszahler zu erkunden und auf dieser Grundlage Mikro-Selbstabzüge vorzunehmen, die einem Anteil des effektiv ausgegebenen Geldes entsprechen und auf individuellen Rentenkonten gutgeschrieben werden. Die Lösung geht auf die inhärent mangelnde Disziplin beim Rentensparen ein. Gleichzeitig gewährleistet sie ein Gleichgewicht zwischen unmittelbaren und künftigen Bedürfnissen der Versicherten. Dies fördert die wirksame Teilnahme informell Beschäftigter an dem oder den beitragsabhängigen Rentensystem(en), mit weitreichenden Auswirkungen auf die effektive Deckungsausweitung.
Verbesserung des Zugangs zu Informationen, Leistungen und Dienstleistungen
Wie oben erwähnt sind Institutionen der sozialen Sicherheit öffentliche Dienstleistungserbringer mit dem zentralen Auftrag, Sozialversicherungsbeiträge einzuziehen und Leistungen und Dienstleistungen der sozialen Sicherheit fristgerecht und zuverlässig zu erbringen. Vor der Einführung von IKT-Lösungen und dem Eingehen strategischer Partnerschaften erfolgten die Verwaltungsabläufe für Anmeldung, Beitragseinzug, Entgegennahme und Bearbeitung von Anträgen von Hand, was zu längeren Wartezeiten vor Gewährung der Leistungen führte. Die übliche Praxis der direkten Erbringung von Leistungen/Dienstleistungen vor Ort durch Institutionen der sozialen Sicherheit führte gar zu langen Warteschlangen mit unterschiedlichen Anstehzeiten für Leistungsempfänger und andere Nutzer von Dienstleistungen der sozialen Sicherheit.
Standardmäßig spielen Sozialschutzprogramme eine grundlegende Rolle bei der Bereitstellung und dem Ersatz von Einkommen, sodass sie in der Lage sein sollten, Einkommensflüsse auszugleichen, wenn Notfälle auftreten. Dies ist jedoch selten der Fall, da die Wartezeit gewöhnlich die übliche Frist für die Zahlung von Löhnen und Gehältern von 30 Tagen überschreitet. Beispielsweise empfehlen die Regeln der Interafrikanischen Konferenz der Einrichtungen der sozialen Sicherheit (Conférence interafricaine de la prévoyance sociale – CIPRES) 45 Tage für die Bearbeitung von Rentenanträgen. Das bedeutet, dass mögliche Rentner oder Hinterbliebene ohne andere Einkommensquellen in Armut abzurutschen drohen, während ihre Anträge auf Bearbeitung warten. Leider kann dies mögliche Rentenbezieher dazu bringen, hochverzinste Darlehen von Banken und Mikrofinanzinstituten oder riskante Darlehen von nichtregulierten Finanzmaklern in Anspruch zu nehmen und die künftigen Rentenansprüche zu beleihen, um Darlehen zum Lohnausgleich zu erhalten.
Immerhin wurden wichtige Fortschritte erzielt, indem One-Stop-Shops (Einheitsschalter) eingeführt wurden, die Entgegennahme und Bearbeitung von Anträgen dezentralisiert wurde und auch die Zahlungs- und Dienstleistungserbringungsstellen durch die Schaffung von Schaltern für mehrfache Dienstleistungen verteilt wurden. Daraus ergab sich die allgemeine Auslagerung von Beitragseinzug und Zahlungsverkehr an Banken und andere Finanzinstitute, etwa Postämter und Mikrofinanzinstitute, die in einer großen Zahl afrikanischer Länder die Sozialversicherungsbeiträge einziehen und Leistungen auszahlen. Allerdings leiden Rentner infolge von Verwaltungsengpässen, operativen Einschränkungen und der Vielfalt und Diversität der Kundschaft dieser Institutionen unter den gleichen Missständen wie zuvor: Warteschlangen vor den Dienstleistungsstellen und eine ständig sich verschlechternde Dienstleistungsqualität.
Als Antwort auf das Streben nach ständiger Verbesserung durch größere Effektivität und Effizienz haben sich die Verwaltungen der sozialen Sicherheit neuen und modernen IKT-Lösungen zugewandt, um strategische Partnerschaften bei der Verwaltung von Systemen und Programmen aufzubauen und so den effektiven, fristgerechten und zuverlässigen Zugang zu Leistungen zu verbessern. Hierunter fallen u. a. die Programme Kostenersparnis durch mobile Geldbörse für Rentner von Kenias Rentenkasse der Gemeinden (Rentenkasse der Gemeinden, 2020c), Sozialbeiträge online zahlen von Kameruns Landeskasse für Sozialversicherung (Caisse nationale de prévoyance sociale – CNPS) (Landeskasse für Sozialversicherung, 2020) sowie die allgemeine Automatisierung von Kerngeschäftsabläufen durch Institutionen der sozialen Sicherheit in Ländern des gesamten Kontinents.
Strategische Partnerschaften und der Einsatz moderner IKT-Lösungen eröffnen der Verwaltung der sozialen Sicherheit ebenfalls Möglichkeiten, einen ununterbrochenen Informationsfluss zu verschiedenen Interessengruppen aufrechtzuerhalten und so die Loyalität der Beitragszahler und der Leistungsempfänger zu stärken sowie Verbindungen zu möglichen Beitragszahlern herzustellen. Auf den Seychellen ist die Rentenkasse der Seychellen durch die Bestimmungen der geltenden Gesetze verpflichtet, jedem Mitglied einen jährlichen Auszug seiner Beiträge zu übermitteln. Dies erzeugt ein riesiges Arbeitsvolumen für das System und birgt gleichzeitig das Risiko der Ungenauigkeit der Adressen von Beitragszahlern nach einem Stellenwechsel sowie der Wahrscheinlichkeit der Nichtweiterleitung der Kontoauszüge durch die Arbeitgeber, über die die Arbeitnehmer kontaktiert werden.
Im Rahmen dieser Pflicht entwickelte die Rentenkasse den Renten-E-Service für die systematische Aktualisierung und direkte Einsichtnahme von Kontoauszügen durch Versicherte. Die Geschäftsleitung nutzte die hohe Internet-Durchdringung des Landes, um die Anwendung Renten-E-Service zu entwickeln und in die Website des Systems für die Anmeldung und die einfache Abfrage der Kontoauszüge durch Versicherte einzubinden. So wurde die Wirksamkeit und Effizienz bei der Bereitstellung von Kontoauszügen für Versicherte verbessert (Rentenkasse der Seychellen, 2020d). Moderne IKT-Lösungen spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Dienstleistungserbringung und verbessern somit den effektiven Zugang zu Leistungen und Dienstleistungen.
Schlussbetrachtung
Die afrikanischen Länder haben in den letzten Jahrzehnten beeindruckende Fortschritte bei der Ausweitung der Deckung durch die soziale Sicherheit erzielt. Die Ausweitung des Schutzes durch die soziale Sicherheit auf den Großteil der Bevölkerung bleibt jedoch eine ewige Herausforderung, infolge politischer Einschränkungen und Mängel bei den administrativen Kapazitäten der Institutionen der sozialen Sicherheit, die Menschen zu erreichen und zu erfassen sowie der ständig wachsenden Zahl von Personen, die Sozialschutz benötigen, diesen auch zu bieten.
Angesichts der weitverbreiteten Informalität und der Inkohärenz zwischen Sozialschutzpolitik und Programmgestaltung müssen Verwaltungen der sozialen Sicherheit Ausgrenzung, hohe Niveaus von Informalität und Nichteinhaltung der Bestimmungen bekämpfen und den Zugang zu Leistungen und Dienstleistungen verbessern, wenn sie die effektive Ausweitung der Deckung anstreben.
Wie die Erfahrungen der IVSS-Mitgliedsinstitutionen in Afrika zeigen:
- ist eine weitere Deckungsausweitung durch die Verabschiedung flexibler Maßnahmen und innovativer Ansätze bei der Verwaltung von Systemen der sozialen Sicherheit und Sozialhilfeprogrammen möglich;
- müssen die Verwaltungen der sozialen Sicherheit angesichts der vorherrschenden Gegebenheiten drei grundlegende Herausforderungen bewältigen: Ausweitung der gesetzlichen Deckung, um das Auftreten von Ausgrenzung zu minimieren, Bekämpfung der Informalität, um die Mitgliedschaft zu fördern und die Einhaltung der Bestimmungen zu verbessern, und Verbesserung des Zugangs zu Informationen, Leistungen und Dienstleistungen, um die effektive Deckungsausweitung zu erreichen;
- spielen strategische Partnerschaften und moderne IKT-Lösungen eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der administrativen Kapazitäten von Institutionen der sozialen Sicherheit und fördern so die Effektivität und Effizienz beim Erreichen und Erfassen von Menschen und bei der Gewährleistung von Sozialschutz für die ständig zunehmende Zahl von Menschen, die Leistungen und Dienstleistungen der sozialen Sicherheit benötigen.
Soziale Sicherheit ist nicht nur ein grundlegendes Menschenrecht. Sie birgt ein entscheidendes und enormes sozioökonomisches Potenzial für Einzelpersonen und die Gesellschaft. Trotz der nach wie vor niedrigen Deckungsraten in Ländern und Zweigen der sozialen Sicherheit ist die weitere Expansion – Reichweite und Ausweitung – der Deckung machbar. Eine kohärentere Politik und Programmgestaltung sowie das Eingehen strategischer Partnerschaften auf der Grundlage moderner IKT-Lösungen können die administrativen Kapazitäten von Institutionen der sozialen Sicherheit verbessern, wodurch es möglich wird, die Menschen zu erreichen und zu erfassen sowie der ständig wachsenden Zahl von Personen, die Sozialschutz benötigen, diesen Schutz auch zu bieten.
Referenzen
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