Analyse – Prioritäten für die soziale Sicherheit

Antworten der sozialen Sicherheit auf die Coronapandemie – Amerika

Analyse – Prioritäten für die soziale Sicherheit

Antworten der sozialen Sicherheit auf die Coronapandemie – Amerika

Aufgrund der Coronakrise sahen sich die Länder ganz Amerikas gezwungen, vor allem in den Bereichen der öffentlichen Gesundheit und der sozialen Sicherheit beispiellose Schritte zu gehen, um die eigenen Bevölkerungen zu schützen. Die Staaten entwickelten insbesondere ein breites Spektrum von Strategien, um ihre Bürgerinnen und Bürger gegen Einkommensverluste zu schützen, als diese aufgrund von Lockdowns ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen konnten. Es wurden zahlreiche und sehr unterschiedliche Strategien umgesetzt, hauptsächlich durch einen Beschäftigungsschutz, durch Arbeitslosenleistungen und durch Hilfsprogramme für die am stärksten von der Krise betroffenen Gruppen wie Selbstständige und informelle Arbeitnehmer.

Die analysierten Erfahrungen zeigen, dass in einem noch nie dagewesenen Umfang neue Programme und Leistungen für breite Bevölkerungsteile eingeführt wurden. Die Institutionen der sozialen Sicherheit spielten eine ganz entscheidende Rolle, um die neuen Maßnahmen wirksam und effizient umzusetzen. In ähnlicher Weise trugen auch die medizinischen Einrichtungen wesentlich zur Umsetzung der nationalen Gesundheitsmaßnahmen bei. Hervorzuheben ist, dass die Institutionen dank der ergriffenen Schutzmaßnahmen auch in der Lage waren, ihre Dienstleistungen mit Direktkontakt aufrechtzuerhalten und gleichzeitig unnötige Kontakte mit der Bevölkerung zu vermeiden. Die digitalen Kanäle und telemedizinischen Dienstleistungen sowie die Umstellung auf einen menschlich-digitalen Ansatz halfen nicht nur, die Krise zu bewältigen, sondern sie erwiesen sich auch als Blaupause für den Weg in die Zukunft, die agilere Systeme der sozialen Sicherheit und Dienstleistungen höherer Qualität verlangen wird.

Die Coronakrise hat zudem deutlich gemacht, dass sich die Systeme der sozialen Sicherheit laufend weiterentwickeln und der Öffentlichkeit einen besseren Schutz anbieten müssen. Viele der eingeführten Maßnahmen – sei dies in Bezug auf die Inhalte der Strategien oder auf ihre operativen Aspekte – könnten nun dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen.

Wichtigste Botschaften

  • Die Auswirkungen der Coronapandemie haben die Regierungen Amerikas gezwungen, bisher nie dagewesene Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere in den Bereichen der Gesundheitsversorgung und der sozialen Sicherheit, um die am stärksten betroffenen Bevölkerungsteile zu schützen.
  • Die Gesundheitsträger haben einen wesentlichen Beitrag zur Realisierung der nationalen Anstrengungen geleistet. Dank innovativer Maßnahmen ist es ihnen gelungen, ihre öffentliche Dienstleistungserbringung aufrechtzuerhalten.
  • Besonders wichtige Maßnahmen der sozialen Sicherheit waren der Beschäftigungsschutz, die Unterstützung für Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, sowie die Nothilfeprogramme für Angehörige gefährdeter Gruppen. Zudem wurden betroffene Unternehmen durch eine Lockerung ihrer Pflichten der sozialen Sicherheit unterstützt.
  • Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Dienstleistungen hatte für die Institutionen der sozialen Sicherheit Amerikas höchste Priorität. Die Digitalisierung spielte dabei eine wichtige Rolle, sowie auch die bereitgestellten Callcenter und die angebotenen häuslichen Dienstleistungen. Die Antwort der Regierungen konnte vor allem deshalb so schnell und so wirksam erfolgen, weil sich die Institutionen der sozialen Sicherheit sowohl untereinander als auch mit anderen Behörden abstimmten.
  • Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Pandemie lautet, dass die Institutionen der sozialen Sicherheit wesentlich zum Schutz der nationalen Bevölkerungen beitragen. Die Kapazitäten und die Widerstandskraft der Institutionen wurden deshalb als entscheidende Faktoren für die Vorbereitung auf weitere außergewöhnliche Krisensituationen erkannt.
  • Die Coronakrise hat aber auch Lücken in der Deckung der sozialen Sicherheit offengelegt, insbesondere bei Selbstständigen und informell Beschäftigten. Gleichzeitig führte die Krise dazu, dass die Systeme eine Vielzahl von Verbesserungen implementierten. Die Erfahrungen, die bei der Umsetzung der Maßnahmen zum Schutz der am meisten gefährdeten Bevölkerungsteile gemacht wurden, sowie die digitalisierten Dienstleistungen und die Aufrechterhaltung des Dienstleistungsbetriebs dürften sich nun bei der Weiterentwicklung der Systeme und Dienstleistungen der sozialen Sicherheit als überaus wertvoll erweisen.

Sozialpolitik und Antworten der Programme

Die Coronakrise, die im März 2020 ausbrach, hat die Volkswirtschaften und Systeme der sozialen Sicherheit auf der ganzen Welt nachhaltig destabilisiert. Laut Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) gingen im Jahr 2020 umgerechnet rund 255 Millionen Vollzeitarbeitsplätze verloren (IAO, 2021).

Neben den Gesundheitsmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie entwickelten die Staaten deshalb ein Paket von Nothilfen, um die am stärksten betroffenen Bevölkerungsteile zu schützen. Zu den Maßnahmen gehörten vor allem der Beschäftigungsschutz durch verschiedene Arbeitsplatzerhaltungsprogramme. Die Institutionen der sozialen Sicherheit, die mit realen Arbeitsplatzverlusten konfrontiert waren, führten ihrerseits nicht nur eine vorübergehende Arbeitslosenunterstützung ein, sondern sie erhöhten auch den Betrag und die Bezahldauer der bestehenden Leistungen. Einige Staaten boten zudem Hilfen für Unternehmen an, um die Einstellung von entlassenen Arbeitnehmern in den am stärksten betroffenen Wirtschaftszweigen zu unterstützen (IVSS, 2021a).

Stützung der Beschäftigung sowie Arbeitslosenleistungen

Arbeitslosenleistungen sind dazu da, bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit einen Einkommensersatz zu bieten. Laut Berechnungen der IAO verfügen nur 38,6 Prozent der Arbeitsbevölkerung weltweit über einen Zugang zu einem derartigen Arbeitslosenschutz, und nur gerade 21,8 Prozent beziehen tatsächlich entsprechende Leistungen (IAO, 2017). Damit ist dies der geringste Deckungsgrad aller Zweige der sozialen Sicherheit.

Die IVSS berichtete über eine Reihe von Maßnahmen, die seit der zweiten Hälfte des Jahres 2020 in Amerika umgesetzt wurden (IVSS, 2021). Diese lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: i) höhere Arbeitslosenleistungen sowie gelockerte Anspruchsvoraussetzungen und erleichterter Gesundheitsversorgungszugang, ii) zusätzliche vorübergehende Arbeitslosenleistungen, die entweder prozentual zur bestehenden Arbeitslosenleistung oder als Festbetrag ausgezahlt wurden, um den Arbeitnehmern und ihren Familien schnell zu helfen. In einigen Ländern ohne Arbeitslosenleistungen wurden die Beihilfen durch Geldtransfers an Arbeitslose (einschließlich Selbstständiger und informell Beschäftigter, die gewöhnlich von diesen Leistungen ausgeschlossen sind) angeboten (IVSS, 2020a).

Zu den Beispielen solcher Maßnahmen gehören in Kolumbien die „Pauschale Nothilfeleistung und verlängerte Krankenversicherungsdeckung“, in Dominica die „Vorübergehenden Sozialhilfe-Arbeitslosenleistungen“ und in El Salvador und Argentinien die Zahlungen zur Unterstützung gefährdeter Selbstständiger und informell Beschäftigter („Notfallarbeits- und -Produktionshilfeprogramm“), ähnlich der Unterstützung für die Familien gefährdeter Selbstständiger in Peru. Hinzu kommen in Uruguay die „Geldleistung für Unternehmen in der Tourismusbranche, die vorübergehend beurlaubte Arbeitnehmer wieder einstellen“ (BPS, 2021) und in Jamaika das Programm der „BEST-Geldleistungen“, die zusammen eine dritte Gruppe von Maßnahmen bilden, mit denen Unternehmen in den am stärksten betroffenen Wirtschaftszweigen unterstützt wurden.

Die Dominikanische Republik ihrerseits bot den von Lockdowns betroffenen Unternehmen, die bei der Allgemeinen Finanzbehörde der sozialen Sicherheit (Tesorería de la Seguridad Social – TSS) registriert sind, einen Zuschuss von 70 Prozent ihrer Gehaltszahlungen an.

Unterstützung gefährdeter Gruppen

Die Krise führte dazu, dass die Regierungen auch neue Nothilfen der sozialen Sicherheit einführten, um ungedeckte Gruppen zu schützen und die Deckung der bestehenden Systeme auf gefährdete Gruppen auszuweiten. Diese Leistungen hatten unterschiedliche Formen und lassen sich wie folgt unterscheiden (IVSS, 2020b):

  • Vorübergehende Geldleistungen. Für eine beschränkte Zeit regelmäßig ausgezahlte Leistungen. Die Anspruchskriterien waren unterschiedlich und berücksichtigten Einkommen, Arbeitsplatzverlust und die Haushaltszusammensetzung.
  • Einmalige Pauschalzahlungen. Diese Sonderzahlungen hatten zum Ziel, gefährdete Gruppen zu unterstützen, obwohl die Auszahlung in einigen Fällen an die gesamte Bevölkerung erfolgte.
  • Erhöhung der bestehenden Leistungen. In einigen Institutionen der sozialen Sicherheit wurden die bereits vorhandenen Leistungen vorübergehend erhöht.
  • Vorauszahlung von Leistungen. Neben der Reaktion auf die durch die Coronakrise verursachten Finanzbedürfnisse bemühten sich die Behörden auch darum, die Gesundheitsrisiken aufgrund von Menschenansammlungen in den Auszahlungszentren zu verringern.
  • Vorübergehende Lockerung der Anspruchsvoraussetzungen. Verschiedene Staaten lockerten die administrativen Voraussetzungen für den Leistungszugang, um die Zahl der anspruchsberechtigten Haushalte zu erhöhen.
  • Ausweitung der Deckung durch bestehende Leistungen. In einigen Ländern wurden die bestehenden Leistungen auf neue Bevölkerungsgruppen (beispielsweise informelle Arbeitnehmer) ausgeweitet, die zuvor nicht von einer Deckung profitiert hatten.

Dank der beispiellosen Zahl an Maßnahmen konnten die Reichweite und der Umfang der bestehenden Programme der sozialen Sicherheit deutlich erhöht werden, insbesondere durch Notfallprogramme für Einkommenssicherheit (IVSS, 2020c), wie die nachfolgenden Erfahrungen zeigen.

In Anguilla wurden zwei staatlich finanzierte Leistungsprogramme eingeführt. Das erste Programm wurde vom Amt der sozialen Sicherheit von Anguilla (Anguilla Social Security Board – SSB) betrieben und stützte sich auf die Beitragszahlungen der Mitglieder. Das andere Programm zahlte die Leistungen direkt an nicht durch das SSB gedeckte Personen oder an Personen aus, die bisher nicht Beiträge in ausreichendem Umfang entrichtet hatten. Tausende von Arbeitnehmern erhielten so Anspruch auf Geldleistungen während bis zu drei Monaten, darunter auch Selbstständige und Personen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Das Amt der sozialen Sicherheit von Anguilla schaltete innerhalb von weniger als einem Monat eine Internetplattform auf, über die Online-Anträge eingereicht und Leistungen über Banken ausgezahlt werden konnten. Gleichzeitig startete es eine Sensibilisierungskampagne, um die Öffentlichkeit über die angebotenen Leistungen zu informieren.

Argentinien führte ein Haushalts-Notfalleinkommen (Ingreso Familiar de Emergencia – IFE) ein. Dabei handelt es sich um eine beitragsunabhängige Geldleistung für Haushalte mit informellen Arbeitnehmern, Arbeitslosen, privaten Haushaltshilfen und kleinen Steuerzahlern der niedrigsten Kategorien. Das Programm weist zahlreiche bemerkenswerte Merkmale auf, wie etwa die enge Abstimmung verschiedener Behörden und die Kompatibilität mit anderen beitragsunabhängigen Leistungen. Es bietet auch die Möglichkeit einer Aufnahme neuer Leistungsempfänger der sozialen Sicherheit, die später mit weiteren Strategien stärker eingebunden werden können.

In Grenada, wo es zuvor keinerlei Schutz für Arbeitslose gab, legte der Landesversicherungsrat (National Insurance Board – NIB) ein Arbeitslosigkeits-Hilfsprogramm auf (Unemployment Assistance Benefit, UAB). Die Mitarbeitenden der Institution wurden im Umgang mit der neuen Software geschult, der elektronische Überweisungsdienst wurde aktualisiert, so dass er Direktzahlungen auf die Bankkonten der Leistungsempfänger erlaubte, und eine Kommunikationskampagne wurde gestartet, um auf die neue Leistung aufmerksam zu machen.

Das kanadische Ministerium für Beschäftigung und soziale Entwicklung (Employment and Social Development Canada – ESDC) führte seinerseits eine steuerfreie Einmalzahlung in Höhe von 300 kanadischen Dollars (CAD) für ältere Menschen ein, die Anspruch auf die Altersrentenversicherung (Old Age Security) hatten. Es bot auch ein finanzielles Unterstützungspaket von vier Wochen Dauer an für Angestellte und Selbstständige, die aufgrund der Coronapandemie ihre Arbeit vorübergehend einstellen mussten: die Krisennothilfe (Canada Emergency Response Benefit, CERB).

Zu den weiteren von der IVSS erfassten Erfahrungen (IVSS, 2020) gehören diejenige Brasiliens, wo Arbeitslose und Mikrounternehmer, die – ob im formellen oder informellen Sektor – bisher nicht im zentralen nationalen Sozialschutzregister verzeichnet waren, sich über eine Website oder eine mobile Anwendung anmelden konnten, um Zugang zu einer dreimonatigen Notfallleistung zu erhalten. Verschiedene Staaten boten auch Vorauszahlungen, Bonuszahlungen oder höhere Alters- und Invalidenrenten an.

Costa Rica führte eine neue Notfallleistung (bono proteger) für bis zu drei Monate für Angestellte und Selbstständige (sowohl im formellen als auch im informellen Sektor) ein, die ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen verloren hatten oder deren Arbeitszeit sich verkürzt hatte. Die Leistung wurde durch eine mobile Anwendung publik gemacht, die von 90 Prozent der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer genutzt wird.

In Ecuador wurde eine besondere Krisenhilfe (contingency benefit) eingeführt. Sie richtete sich an informelle Arbeitnehmer, die sich mit COVID 19 infiziert oder anderweitig von der Pandemie betroffen waren, und wurde über die bestehenden Kanäle der sozialen Sicherheit ausgezahlt.

Die Vereinigten Staaten von Amerika verabschiedeten ein Gesetz über wirtschaftliche Anreize (American Rescue Plan), das eine Runde von Anreizzahlungen sowie eine Ausweitung bestimmter Leistungen und Steuererleichterungen im Zusammenhang mit Arbeitslosenleistungen, die Steuergutschrift für Kinder (Child Tax Credit) sowie die Steuergutschrift für Erwerbseinkommen (Earned Income Tax Credit) umfasste.

Flexibilität und vorübergehende Beitragsbefreiungen

Zahlreiche Regierungen und Institutionen der sozialen Sicherheit senkten im Rahmen ihrer Nothilfen für die von der Pandemie in ihrer Tätigkeit stark betroffenen Unternehmen die Beiträge der sozialen Sicherheit, oder sie hoben die Beitragspflicht vorübergehend auf (IVSS, 2020d). Ziel war es, diese Unternehmen zu schützen, damit sie die Zeit der Krise überstehen konnten, und so möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. In Basilien wurde die Zahlung der Beiträge an die Arbeitslosenversicherungskasse für Angestellte (Fundo de Garantia do Tempo de Serviço – FGTS) vorübergehend ausgesetzt. In Argentinien konnten Arbeitgeber, die aufgrund der Pandemie starke Einkommenseinbußen erlitten (vor allem, aber nicht nur in den Bereichen Tourismus, Verkehr und Hotellerie), eine Freistellung von ihrer Beitragspflicht erwirken.

Einige dieser Maßnahmen waren zwar bereits in früheren Krisen angewendet worden, aber dieses Mal wurden sie zielgerichtet und umfassend eingesetzt, so dass sie ergänzend zu den übrigen staatlichen Hilfen wirkten.

Anerkennung von COVID 19 als Berufskrankheit

Eine Vielzahl amerikanischer Länder stufte COVID 19 als Berufskrankheit ein. Dazu zählten etwa Argentinien, Brasilien und Kanada. Ähnliche Bestimmungen wurden in Chile, Costa Rica und der Dominikanischen Republik verabschiedet. Mexiko betrachtet COVID 19 als Berufskrankheit bei Angestellten, die Symptome einer Coronainfektion aufweisen oder eine entsprechende Diagnose vorlegen können (Sozialversicherungsgesetz, 2021). In Panama hingegen muss zuerst ein Arzt bestimmen, wie es zur Infektion kam, bevor diese anerkannt wird, und die Leistungen gelten nicht für Arbeitnehmer im Homeoffice. Im Kolumbien und Peru wird COVID 19 nur bei Gesundheitsfachkräften als Berufskrankheit anerkannt. In Uruguay hingegen übernimmt der allgemeine Träger für Gesundheitsleistungen, bei dem die Arbeitnehmer Mitglied sind, bei einer Infektion in jedem Fall die medizinische Versorgung und ihre Kosten. In Paraguay wurden für die jeweiligen Branchen Arbeitsschutzprotokolle erstellt, die eine sichere und gesunde Rückkehr an den Arbeitsplatz sicherstellen sollen, und die Leitlinien enthalten, die von den Betrieben im Rahmen eines Sozialdialogs umzusetzen sind.

Betriebsbezogene Massnahmen: Aufrechterhaltung der Dienstleistungen und Umsetzung der Programme

Durch die Einschränkungen der persönlichen Kontakte, die während der Coronakrise verhängt wurden, musste der Betrieb der Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit in den Räumlichkeiten der Institutionen der sozialen Sicherheit angeboten wurden, vielfach eingestellt oder stark reduziert werden. Die Institutionen waren daher gezwungen, ihre Diensterbringungsmodelle anzupassen, um die Kontinuität der Dienstleistungen sicherzustellen und die gestiegene Leistungsnachfrage zu bewältigen. Diese betriebsbezogenen Maßnahmen lassen sich wie folgt unterscheiden (IVSS, 2020e):

  • vermehrter Einsatz digitaler Kanäle durch elektronische, mobile und geteilte Datendienstleistungen;
  • Einführung pragmatischer Ansätze, um alle Bevölkerungsteile zu erreichen, insbesondere durch den Betrieb von Callcentern, die Menschen ohne Zugang zu digitalen Kanälen Dienstleistungen anbieten, und gegebenenfalls durch häusliche Dienstleistungen;
  • flexible Anpassung der Präsenzerfordernisse und des Einsatzes papierbasierter Dokumente für die Antragseinreichung und die Leistungsbearbeitung;
  • Umschulung von Mitarbeitenden für andere Funktionen und Anpassung der Prozesse zur Bewältigung des noch nie dagewesenen Geschäftsvolumens.

Öffentliche Dienstleistungserbringung

Digitale Kanäle spielten in dieser Zeit der Corona-Einschränkungen eine entscheidende Rolle, da dank ihnen die Dienstleistungen für die Nutzer aufrechterhalten werden konnten, und ihr Einsatz nahm enorm zu. Die Institutionen nutzten ihre bestehenden digitalen Dienstleistungsportale, und einige von ihnen ergänzten sie während der Pandemie durch Online-Hilfen, wie etwa die Nationale Verwaltung für soziale Sicherheit Argentiniens (Administración Nacional de la Seguridad Social – ANSES).

Digitale Kanäle sind zwar auch in der Bevölkerung immer beliebter geworden, aber einige Gruppen von Leistungsempfängern bekunden nach wie vor Schwierigkeiten, sie gewinnbringend zu nutzen. Die Institutionen bauten deshalb ihre Callcenter-Kanäle aus, indem sie Mitarbeitende umschulten und versetzten, sie mit integrierten IT-Systemen ausstatteten und ihnen in einigen Fällen auch erlaubten, Vorgänge im Namen der Leistungsempfänger zu tätigen. Einige Institutionen boten zudem häusliche Dienstleistungen an. Dazu gehörten die Lieferung von Arzneimitteln durch die Sozialversicherungskasse von Costa Rica (Caja Costarricense de Seguro Social – CCSS) und durch die Anstalt für soziale Sicherheit Guatemalas (Instituto Guatemalteco de Seguridad Social – IGSS). Oder die Institutionen erlaubten Zahlungen von zu Hause aus wie etwa die Kolumbianische Rentenverwaltung (Administradora Colombiana de Pensiones – Colpensiones).

Zentrale Anlaufstellen spielten eine besonders wichtige Rolle bei der elektronischen Erbringung von Dienstleistungen hoher Qualität (IVSS, 2021b). Dank dieser Art von digitalen Kanälen gelang es mehreren Institutionen der Region, ihren Dienstleistungsbetrieb für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Dazu zählen insbesondere die argentinische Bundesverwaltung der Staatseinnahmen (Administración Federal de Ingresos Públicos – AFIP) (AFIP, 2017), die brasilianische Landesanstalt für soziale Sicherheit (Instituto Nacional do Seguro Social – INSS) (INSS, 2020) und das brasilianische Unternehmen für Information und Technologie der sozialen Sicherheit DATAPREV (Empresa de Tecnologia e Informações da Previdência Social – DATAPREV) (DATAPREV, 2020), die Sozialversicherungsanstalt Mexikos (Instituto Mexicano del Seguro Social – IMSS) (IMSS, 2020) und die Bank für Sozialversicherung Uruguays (Banco de Previsión Social – BPS) (IVSS, 2021b). In Peru entwickelte die Sozialversicherung für Gesundheit – EsSalud (Seguro Social de Salud – EsSalud) die Plattform VIVA, eine zentrale Anlaufstelle für ihre Mitglieder (EsSalud, 2020). Diese Initiative, die im Kontext der Corona-Gesundheitskrise gestartet wurde, erlaubte es den Mitgliedern, auch während der Lockdowns auf Gesundheitsdienstleistungen zuzugreifen.

Ein weiterer bemerkenswerter Ansatz im Hinblick auf digitale Kanäle für die öffentliche Dienstleistungserbringung bestand in den telemedizinischen Angeboten. Die Telemedizin erlaubt es dank Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), dass medizinische Sprechstunden von fern abgehalten werden. Während der Coronapandemie spielten diese Konsultationen auf elektronischem Weg ein große Rolle, da dadurch die Beziehung zwischen Gesundheitsfachkräften und ihren Patienten gepflegt, gleichzeitig der physische Kontakt auf ein Minimum reduziert und die wichtigsten Dienstleistungen während der Pandemie aufrechterhalten werden konnten (PAHO und IDB, 2020). Telemedizinische Dienstleistungen wurden unter anderem eingesetzt vom argentinischen Verein für Familienschutz auf Gegenseitigkeit (Asociación Mutual de Protección Familiar – AMPF), von der Ecuadorianischen Anstalt für soziale Sicherheit (Instituto Ecuatoriano de Seguridad Social – IESS), von der peruanischen Sozialversicherung für Gesundheit – EsSalud (Seguro Social de Salud – EsSalud), von der mexikanischen Anstalt für soziale Sicherheit und Sozialdienste für Staatsbedienstete (Instituto de Seguridad y Servicios Sociales de los Trabajadores del Estado – ISSSTE), von Uruguays katholischem Arbeiterkreis auf Gegenseitigkeit (Círculo Católico de Obreros del Uruguay Mutualista) und von der Bank für Sozialversicherung aus Uruguay (Banco de Previsión Social – BPS) (IVSS, 2021c).

Digitalisierung der Dienstleistungen

In den vergangenen Jahren setzten die Institutionen der sozialen Sicherheit nicht nur immer mehr neue Informations- und Kommunikationstechnologien ein, sondern sie bemühten sich auch, die menschlichen Fähigkeiten und die technologischen Kapazitäten aufeinander abzustimmen und miteinander zu kombinieren. Dank dieser Anstrengungen ist es in Amerika während der Coronapandemie gelungen, wirksame Lösungen umzusetzen (IVSS, 2020f). Für die Bewältigung der Pandemie waren insbesondere folgende Initiativen wichtig:

  • Fähigkeit, in Krisenzeiten flexible digitale Lösungen zu entwickeln. Um während der Coronapandemie Nothilfen bereitzustellen, verließen sich einige Regierungen stark auf ihre Institutionen der sozialen Sicherheit, damit diese den Zugang zur Bevölkerung herstellten. Die Erfahrungen in Anguilla, auf den Bahamas und in Grenada zeigen, welche Vorteile dieser Ansatz haben kann. Eine ebenso deutliche Sprache sprechen die Dienstleistungen, die von der Anstalt für soziale Sicherheit Guatemalas und der Anstalt für soziale Vorsorge Paraguays (Instituto de Previsión Social – IPS) umgesetzt wurden.
  • Einsatz von Analyseverfahren. Dank Analyseverfahren waren die Institutionen der sozialen Sicherheit in der Lage, die Auswirkungen der Pandemie besser zu überwachen, aber auch ihre eigenen Entscheidungsfindungsprozesse besser zu gestalten. Die Sozialversicherungskasse von Costa Rica setzte Analyseverfahren ein, um die Ausbreitung von COVID 19 in der Bevölkerung sowie die in den Gesundheitseinrichtungen angebotenen Dienstleistungen zu erfassen. Die Sozialversicherungsanstalt Mexikos entwickelte ähnliche Systeme, sowie auch die peruanische Sozialversicherung für Gesundheit – EsSalud, die ebenfalls eine Abteilung für Information und Datenanalysen einrichtete (IVSS, 2021e).
  • Straffung der Überwachungs- und Dienstleistungserbringungsmechanismen. Durch die Einführung agilerer Überwachungsmechanismen konnten die Leistungen effizienter zugewiesen werden, wie die Erfahrungen der paraguayischen Anstalt für soziale Vorsorge und der Anstalt für soziale Sicherheit Guatemalas zeigen, die keinen physischen Lebensnachweis mehr verlangten, sondern sich auf biometrische Lebensnachweissysteme und Videokonferenz-Mechanismen verließen.

Schlussfolgerungen

Fast zwei Jahre nach Ausbruch der Coronapandemie gehören die Anstrengungen, die bestehenden und neu entstehenden Bedürfnisse der sozialen Sicherheit aufzufangen, die durch die starken Einbrüche auf den Arbeitsmärkten entstanden sind, weiterhin zu den höchsten Prioritäten der Regierungen. Die Staaten verfolgten deshalb als erstes Ziel, die Auswirkungen der Krise einzudämmen und das Leben der Menschen zu schützen.

Die Behörden konnten in ihrer Antwort auf eine Vielfalt strategischer Maßnahmen zurückgreifen, um die betroffenen Bevölkerungsteile zu schützen, und sie konzentrierten sich dabei vor allem auf die am meisten gefährdeten Gruppen. In einigen Ländern wurden die bestehenden Systeme der sozialen Sicherheit ausgeweitet und angepasst, während andere Länder Sofortmaßnahmen ergriffen, hauptsächlich in Form beitragsunabhängiger Nothilfen durch Geldtransfers. Auch den Unternehmen wurden Hilfen angeboten, darunter verringerte Beiträge der sozialen Sicherheit, vorübergehende Aussetzungen der Beitragspflicht und verlängerte Zahlungsfristen.

Die Institutionen der sozialen Sicherheit reagierten schnell und passten ihre Dienstleistungserbringungsmodelle an, um ihre Dienstleistungen mit möglichst wenig direktem Kontakt aufrechtzuerhalten. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren waren der Einsatz digitaler Kanäle, die Nutzung telemedizinischer Angebote, die pragmatischen Ansätze für die Deckung der Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen, die gelockerten Anspruchsvoraussetzungen für die Leistungsvergabe sowie die Umschulung von Mitarbeitenden und die Anpassung von Prozessen zur Bewältigung des noch nie dagewesenen Arbeitsvolumens. Die Institutionen leisteten überdies einen ganz wesentlichen Beitrag zur Realisierung der Gesundheitsmaßnahmen auf nationaler Ebene.

Analysiert man diese Erfahrungen, so wird schnell deutlich, wie wichtig die Kapazitäten der Institutionen (qualifizierte Mitarbeitende, neue Technologien, umfassende Infrastrukturen und gute Governance) sind, wenn es darum geht dafür zu sorgen, dass die umgesetzten Maßnahmen der sozialen Sicherheit auch wirksam, gezielt und fristgerecht umgesetzt werden. Ebenso deutlich wird, dass die entsprechenden Kapazitäten der Institutionen der sozialen Sicherheit stärker ausgebaut werden müssen.

Und letztlich bemühen sich die Institutionen und Regierungen mit Blick in die Zukunft auch darum zu ermitteln, wie sie die während der Pandemie gemachten Erfahrungen und eingeleiteten Veränderungen am besten nutzen können, um ihre Systeme und Dienstleistungen der sozialen Sicherheit und damit den Schutz ihrer Bevölkerungen weiter zu verbessern.

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