Bildung und Kultur der sozialen Sicherheit: Beispiele guter Praxis aus Lateinamerika

Bildung und Kultur der sozialen Sicherheit: Beispiele guter Praxis aus Lateinamerika

Fehlender Sozialschutz ist in vielen Ländern mit einem Mangel an Informationen verbunden. Wenn sich die Arbeitnehmer und ihre Familien ihrer Rechte und Pflichten nur unzureichend bewusst sind, können sie die Bedeutung oder die Tragweite des Sozialschutzes auch nicht ausreichend verstehen. Daher müssen die Menschen zwingend über soziale Sicherheit informiert werden, damit ihr Zugang zu Leistungen, ihre Eigenständigkeit und ihre Befähigung gefördert werden.

Die Vermittlung von Wissen über soziale Sicherheit führt zur Schaffung einer Kultur der sozialen Sicherheit, zu einem erhöhten Bewusstsein über die gesellschaftlichen Rechte und Pflichten und die grundlegenden Konzepte. Dies wiederum bewirkt größeres Vertrauen in die Institutionen der sozialen Sicherheit.

Eine solche Wissensvermittlung muss auch Elemente über den Umgang mit Finanzen beinhalten, insbesondere in Ländern, die Reformen eingeleitet haben, welche mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung bei der Verwaltung von Geldern bieten, damit die Menschen geeignete Optionen leichter erkennen können.

Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) sollte die soziale Sicherheit, die eine Gesellschaft ihren Einzelpersonen und Haushalten als Schutz bietet, allen bekannt sein, da es sich um ein Menschen-, Sozial- und Grundrecht handelt, auf das jede Person Anspruch hat, und das einen menschenwürdigen Lebensstandard garantiert (IAO, 2009).

Die Errichtung einer Kultur der sozialen Sicherheit ist zwar in den Mandaten der wenigsten Institutionen der sozialen Sicherheit in Amerika festgelegt, dennoch entwickeln diese Institutionen zunehmend Initiativen – angefangen bei zielgruppenorientierten Projekten bis hin zu ausgeklügelten Bildungsprogrammen –, um die soziale Sicherheit zu fördern und Kenntnisse in diesem Bereich zu vermitteln.

Diese in Tabelle 1 zusammengefassten Maßnahmen lassen sich nach einer Reihe verschiedener Achsen ordnen: nach ihrer Zielgruppe, nach der Art von System der sozialen Sicherheit oder der Dienstleistung, auf die sie sich beziehen, oder danach, wie sie umgesetzt werden – entweder mit persönlicher Anwesenheit oder aus der Ferne.

Die hier verwendeten Dimensionen und Kategorien schließen sich nicht gegenseitig aus. Ganz im Gegenteil: Ein Bildungsprogramm der sozialen Sicherheit kann eine Reihe von Initiativen aus mehr als einer Kategorie umfassen, und eine einzige Initiative kann unter mehr als eine Kategorie innerhalb der gleichen Dimension fallen. Eine Bildungsstrategie mit mehreren Dimensionen und Kategorien ist tendenziell auch wirksamer.

Tabelle 1. Dimensionen und Kategorien der Bildung in sozialer Sicherheit.
Bildung in sozialer Sicherheit
Dimension Kategorie Beschreibung
Zielgruppe Allgemein Soll die Öffentlichkeit insgesamt informieren; umfasst Initiativen zur allgemeinen Sensibilisierung und Verbreitung von Wissen über Grundkonzepte
Spezifisch Ausgerichtet auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, beispielsweise nach Alter oder Branche
System der sozialen Sicherheit oder Dienstleistung Renten, Arbeitslosen- und Familienleistungen Schwerpunkt auf der Sensibilisierung der Mitglieder und Leistungsempfänger in Bezug auf ihre Rechte und Pflichten
Vorbeugung von Risiken Soll Wissen darüber fördern, wie Krankheit und Risiken vorgebeugt werden kann, und, wo sie entstanden sind, über die damit verbundenen Rechte und Pflichten des Einzelnen, einschließlich, wo angemessen, medizinischer Versorgung
Gesundheit Schwerpunkt vor allem auf Prävention und Wissen über die Rechte des Einzelnen hinsichtlich des Zugangs zu Gesundheitsversorgung
Art der Umsetzung Persönliche Anwesenheit Betonung auf persönlichem Kontakt
Aus der Ferne Betonung auf digitalem Zugang

Die Leitlinien der IVSS über Kommunikation von Verwaltungen der sozialen Sicherheit bieten einen allgemeinen Rahmen für die Good Governance und die systematische Handhabung der Kommunikation (IVSS, 2016). Die Leitlinien der IVSS über Informations- und Kommunikationstechnologie (IVSS, 2019a), die Leitlinien der IVSS über Dienstleistungsqualität (IVSS, 2019b) und die Leitlinien der IVSS über arbeitsplatzbezogene Prävention (IVSS, 2019c) unterstützen ebenfalls die Umsetzung von Programmen zur Bildung und Schaffung einer Kultur der sozialen Sicherheit.

Erfahrungen bei der Umsetzung von Initiativen zur Bildung und Schaffung einer Kultur im Bereich der sozialen Sicherheit

Die Beispiele guter Praxis, die im Rahmen des Wettbewerbs um den IVSS-Preis für gute Praxis für Amerika 2020 eingereicht wurden, zeigen zusammen mit anderen IVSS-Aktivitäten ganz klar, dass die Institutionen der sozialen Sicherheit dabei sind, Initiativen mit Bezug zu Bildung und Kultur umzusetzen. Nachstehend wird eine Auswahl verschiedener Erfahrungen von Mitgliedsinstitutionen vorgestellt.

Chile

In Chile hat die Versicherung auf Gegenseitigkeit für Sicherheit (Mutual de Seguridad – CChC) Initiativen entwickelt, die auf die Schaffung einer Kultur der sozialen Sicherheit sowohl im Geschlechterbereich als auch im Hinblick auf die Entwicklung wichtiger Fähigkeiten zur Risikoprävention abzielen. Dabei nutzt sie Methoden der Erwachsenenbildung (CChC, 2020a). Die Initiativen werden in Tabelle 2 beschrieben.

Die Entwicklung wichtiger Fähigkeiten zur Risikoprävention stützte sich auf eine Strategie der Praxisschulung und umfasste die Einrichtung eines Risikoschulungszentrums. Ziel ist es, über Risiken wie Stürze aus großer Höhe, Arbeiten mit Strom, Arbeiten in engen Räumen und den Betrieb von Maschinen und Fahrzeugen aufzuklären. Die Initiativen richten sich an verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern im ganzen Land.

Die Praxisschulung versucht, die realen Arbeitsbedingungen , unter denen die oben genannten wichtigen Risiken auftreten, nachzustellen. Zwei mobile Einheiten wurden eingeführt, die mit modernster Ausrüstung und Technologie ausgestattet sind, um den Ausbildungsleitenden und den Schulungsteilnehmenden während des Praxislernunterrichts maximale Sicherheit zu bieten. Jede Einheit ist groß genug, um zwei Ausbildende und das gesamte Material zu transportieren.

Mit den Einheiten begaben sich die Ausbildungsleitenden in 16 Regionen Chiles und legten dabei insgesamt 4 300 km zurück. Sie schulten etwa 4 000 Personen innerhalb eines Jahres. Es kam bei keiner der Schulungen zu problematischen Vorfällen.

Die Corona-Pandemie beschleunigte die Digitalisierung der Schulungsprozesse bei den Arbeitsschutz-Schulungen und bewirkte einen Übergang von Präsenzkursen zu einem vollständigen Online-Format. So konnten versicherte Arbeitnehmer, die den Wechsel an eine Stelle mit einem bedeutenden Risiko erwogen, ihre Schulung fortsetzen.

Ein Bildungszyklus für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz wurde eingerichtet, der neue Schulungsmethoden und Lerntechnologien umfasste. Diese reichten von virtuellen Kursen und Mikrolernvideos zur Festigung des Inhalts bis hin zu praktischen Übungen mit Unterstützung durch Techniken der erweiterten Realität (CChC, 2020b).

Tabelle 2. Erfahrungen in Chile.
Institution Initiative Zielgruppe System oder Dienstleistung Art der Umsetzung
Versicherung auf Gegenseitigkeit für Sicherheit (CChC) Arbeitsschutz-Schulung in Zeiten von COVID-19 Spezifisch Gesundheit Aus der Ferne
Mobile Risikoschulungszentren Spezifisch Gesundheit Persönliche Anwesenheit

Costa Rica

In Costa Rica haben mehrere Institutionen Bildungsinitiativen über soziale Sicherheit entwickelt, wie in Tabelle 3 dargelegt. Im Jahr 2017 organisierte die Sozialversicherungskasse von Costa Rica (Caja Costarricense de Seguro Social – CCSS) einen runden Tisch zu Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenrenten. Es wurde beschlossen, das Thema soziale Sicherheit in die öffentlichen Bildungsprogramme aufzunehmen, um das Verständnis von Rechten und Pflichten zu fördern. 2020 führte die Organisation einen Sommer-Workshop für Kinder mit dem Titel „Titos Rente“ (La pensión de Tito) ein, um zu erklären, wie wichtig das Sparen für eine Rente ist (CCSS, 2020a).

Überdies führte die CCSS eine Initiative der Gesundheitsversorgung gestützt auf die Apotheken ein, bei der mit Hilfe von QR-Codes als innovatives Mittel verschiedene Gruppen von Patienten erreicht werden sollten. Zweck war es, die Einhaltung von Therapien zu fördern, Informationen über die korrekte Einnahme von Arzneimitteln zu vermitteln und so die Einhaltung der Behandlungsvorgaben zu verbessern (CCSS, 2020b).

2013 unterzeichneten zwei Erziehungsgewerkschaften (zwei weitere stießen später dazu) den ersten Tarifvertrag mit dem Ministerium für öffentliche Bildung (Ministerio de Educación Pública – MEP). Darin verpflichtete sich das MEP, Informationen, Werte und Strategien der sozialen Sicherheit in seine Programme der staatsbürgerlichen Bildung aufzunehmen (MEP, 2020a). Eine „Woche der sozialen Sicherheit“ wurde eingeführt und die Lehrkräfte wurden auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit geschult (MEP, 2020b).

Der Programminhalt wurde je nach Alter der Zielgruppe angepasst. Marionettenspiele und Telenovelas wurden für Klassen mit Kindern von 7 bis 10 Jahren (Grundschule) entworfen. Für die 10- bis 12-Jährigen wurden Lese-Workshops und runde Tische organisiert. Ältere Jugendliche (12 bis 15 bzw. 15 bis 18 Jahre) arbeiteten mit nationalen und internationalen Texten über Herkunft, Merkmale und Bedeutung der sozialen Sicherheit sowie regulatorische Aspekte.

Außerdem führte die Renten- und Pensionsbehörde der nationalen Lehrerschaft (Junta de Pensiones y Jubilaciones del Magisterio Nacional, JUPEMA) ein Sensibilisierungsprogramm für Schülern ein, um informierte Erwachsene heranzubilden (JUPEMA 2020). Dies beruhte auf der Vorüberlegung, dass die Schulkinder von heute eines Tages verantwortlich für die Pflege älterer Menschen sein werden. Daher ist es unabdingbar, dass sie die Rechte und Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppe verstehen.

Das Programm richtete sich an Schüler bis 12 Jahre und wurde von ehrenamtlich tätigen Rentnerinnen und Rentnern erbracht. Dreißig Zentren wurden eingerichtet, in denen etwa 2000 Kinder von 116 ehrenamtlichen Rentnerinnen und Rentnern geschult wurden.

Tabelle 3. Erfahrungen in Costa Rica.
Institution Initiative Zielgruppe System oder Dienstleistung Art der Umsetzung
Sozialversicherungskasse von Costa Rica (CCSS) Runder Tisch über Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenrenten Allgemein und spezifisch Sozialversicherung Persönliche Anwesenheit
Virtualisierung von QR-Codes bei der Patientenschulung Spezifisch Gesundheit Aus der Ferne
Erziehungsgewerkschaften und Ministerium für öffentliche Bildung (MEP) Einbeziehung von Informationen, Werten und Strategien der sozialen Sicherheit in die Unterrichtsprogramme der staatsbürgerlichen Bildung;
Einführung der Woche der sozialen Sicherheit
Allgemein und spezifisch Sozialversicherung Persönliche Anwesenheit
Renten- und Pensionsbehörde der nationalen Lehrerschaft (JUPEMA) Sensibilisierungsprogramm für Schüler Spezifisch Sozialversicherung Persönliche Anwesenheit

Mexiko

Die Sozialversicherungsanstalt Mexikos (Instituto Mexicano del Seguro Social – IMSS) entwickelte eine Online-Informationsplattform (CLIMSS), um ihren Leistungsempfängern und der Öffentlichkeit Gesundheitswissen zu vermitteln (IMSS, 2020). Dies ist in Tabelle 4 ausgeführt.

Die Plattform vermittelt Wissen, mit dem die Gesundheit der Bevölkerung verbessert werden soll. Ausgehend von der Grundannahme, dass die Gesundheitsergebnisse und die Gesundheit umso besser sind, je mehr die Bevölkerung über Gesundheit weiß, lautete die Herausforderung, einen Maßnahmenkatalog für Schulungen und Gesundheitsförderung einzuführen, der sich positiv auf die Lebensqualität des Einzelnen und der Gemeinschaft auswirken würde.

Das Tool ging auf die Notwendigkeit ein, fachliche, praktische, zuverlässige, strategisch ausgewählte und spezialisierte Informationen über eine benutzerfreundliche und intuitive Plattform zu vermitteln. Kurse nach Fähigkeiten wurden zusammengestellt, gestützt auf Grundsätze aus der Erwachsenenbildung und Gamifizierung als Strategie zur Motivierung und Lernförderung.

Mit der Plattform wollte man eine Million registrierter Nutzer erreichen. Dieses Ziel wurde übertroffen, man verzeichnete fünfmal so viele Nutzer. Was die Unterrichtsqualität betrifft, so gaben die Teilnehmenden den COVID-19-Kursen eine Note von 9,3 und den anderen Kursen die Note 9,4.

Tabelle 4. Erfahrungen in Mexiko.
Institution Initiative Zielgruppe System oder Dienstleistung Art der Umsetzung
Sozialversicherungsanstalt Mexikos (IMSS) Gesundheitswissen. MOOC-Plattform der IMSS (CLIMSS) Allgemein und spezifisch Gesundheit Aus der Ferne

Dominikanische Republik

In der Dominikanischen Republik entwarf die Aufsichtsbehörde für Renten (Superintendencia de Pensiones – SIPEN) einen Plan zur Förderung der Wissensvermittlung zum Thema Renten über eine Reihe von Projekten und Initiativen, wie in Tabelle 5 ersichtlich. Ziel war es, verschiedenen Teilen der Gesellschaft frühzeitig korrekte Informationen über das dominikanische Rentensystem (Sistema Dominicano de Pensiones, SDP) zu vermitteln, das Bewusstsein für die Rechte und Pflichten von Mitgliedern und Leistungsempfängern zu erhöhen und die Einbeziehung von Themen der sozialen Sicherheit in das nationale Bildungsprogramm zu fördern (SIPEN, 2020).

Eine Reihe von 2014 und 2015 durchgeführten Bürgerumfragen machte klar, dass es an Wissen über die Rechte und Pflichten sowie über die Funktionsweise des Rentensystems mangelte. Nur 28 Prozent der Befragten waren mit den Aufgaben eines Pensionsfondsverwalters vertraut, und nur 11 Prozent wussten über Invaliden- oder Altersrenten Bescheid.

Drei von zehn Befragten wussten nicht, wie viel Rente sie bekommen würden und konnten dies auch nicht schätzen. Etwa 23 Prozent dachten, ihre Rente würde höher als die Hälfte ihres Lohnes ausfallen.

Diese Ergebnisse führten dazu, dass die Vermittlung von Informationen über das Rentensystem in den nationalen Strategieplan aufgenommen wurde.

So wurde eine Reihe von Initiativen umgesetzt: die Einrichtung eines Webportals und einer Rentenausbildungsschule und die Einbeziehung von rentenbezogenen Themen in das Bildungsprogramm.

Zudem wurde ein Kommunikationsplan eingeführt, und Ressourcen für Information, Unterricht und akademische Lehre wurden entworfen, gedruckt und in den unterschiedlichen Zielgruppen in Umlauf gebracht. Vorträge und Workshops für Gewerkschaften, Berufsverbände und andere nichtstaatliche Organisationen sowie für Universitäten und andere Bildungseinrichtungen wurden veranstaltet.

Diese Maßnahmen bewirkten, dass von 2016 bis 2020 89 Seminare und Vorträge mit mehr als 3 700 Teilnehmenden stattfanden; 1 348 Personen absolvierten die Rentenausbildungsschule; und die Initiative erreichte eine Zufriedenheit von 97,68 Prozent.

Tabelle 5. Erfahrungen in der Dominikanischen Republik.
Institution Initiative Zielgruppe System oder Dienstleistung Art der Umsetzung
Aufsichtsbehörde für Renten (SIPEN) Plan zur Förderung des Rentenwissens Allgemein und spezifisch Sozialversicherung Persönliche Anwesenheit und aus der Ferne

Uruguay

Uruguays Bank für Sozialversicherung (Banco de Previsión Social – BPS) entwickelte einen Katalog von Initiativen zur Vermittlung von Wissen über die soziale Sicherheit als Teil ihrer institutionellen Strategie zur Förderung einer Kultur der sozialen Sicherheit, wie in Tabelle 6 dargelegt (BPS, 2020).

Die BPS stellte fest, dass für jede Zielgruppe ein maßgeschneiderter Ansatz nötig ist. Zu diesem Zweck leitete sie Initiativen auf verschiedenen Ebenen ein: Bildungsprogramme, allgemeine Sensibilisierungskampagnen, Schulung von Beamten, Stärkung der Governance und Interaktionen mit der gesamten Gesellschaft.

Die Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger, ihre Rechte auszuüben, wurde durch die Bereitstellung von Wissen, die Sensibilisierung für die Pflichten in Verbindung mit diesen Rechten, die Ermunterung zu einer kritischen und partizipativen Einstellung und die Entwicklung eines gesellschaftlichen Verständnisses des Systems der sozialen Sicherheit gefördert.

Die BPS arbeitet seit 2007 an formellen und informellen Bildungsinitiativen. Die in der formellen Bildung eingesetzte Strategie schließt das Thema auf verschiedenen Ebenen des Lehrplans ein. Im Zeitverlauf wurden die Inhalte weiterentwickelt und ausgeweitet, angefangen bei den Kursen für das vierte Jahr (10‑Jährige). Später wurden sie allmählich auf andere Jahrgänge erweitert, bis hin zum Lehrplan der frühen Jahre (4‑Jährige). Für letztere lag der Fokus auf Konzepten wie Solidarität und dem Respekt für ältere Menschen. Es wurden auch Inhalte für Erwachsene auf dem zweiten Bildungsweg entwickelt.

Tabelle 6. Erfahrungen in Uruguay.
Institution Initiative Zielgruppe System oder Dienstleistung Art der Umsetzung
Bank für Sozialversicherung (BPS) Verständnis Ihrer Rechte und Pflichten Allgemein und spezifisch Sozialversicherung Persönliche Anwesenheit

Erfahrungen in weiteren Ländern

Zusätzlich zu den oben beschriebenen Initiativen haben auch andere lateinamerikanische Länder Erfahrung mit der Förderung von Bildung und Kultur der sozialen Sicherheit.

Über mehrere Jahre führte Argentiniens Sekretariat für soziale Sicherheit (Secretaría de Seguridad Social – MTEySS) in Partnerschaft mit UNICEF sein „Programm für eine Kultur der sozialen Sicherheit“ (Programa para una Cultura de la Seguridad Social) durch, das hauptsächlich auf einer Kampagne für Kinder aufbaute. Dabei führte eine Wandertheatergruppe in Schulen und Theatern im ganzen Land ein interaktives Stück mit dem Titel „Supermission der sozialen Sicherheit“ (Súper Misión Seguridad Social) auf, um die Bedeutung der sozialen Sicherheit und die Grundsätze von Gleichheit und Solidarität zu unterstreichen. Über eine dedizierte Website wurde didaktisches Begleitmaterial bereitgestellt (MTEySS, 2013).

In Kolumbien arbeiteten die Ministerien für Gesundheit und für Bildung und das Instituto Colombiano de Bienestar Familiar, eine staatliche Einrichtung, die sich für das Wohlergehen von Familien einsetzt, gemeinsam an einem Projekt in Schulen zur Förderung einer Kultur der Gesundheit bei der Arbeit, um die Schülerinnen und Schüler und ihre Familien für dieses Problem zu sensibilisieren.

In Paraguay wiederum wurde eine Initiative gestartet, um soziale Sicherheit als Wahlfach in den Lehrplan der Sekundarstufe aufzunehmen. Diese von der Anstalt für soziale Vorsorge (Instituto de Previsión Social – IPS) unterstützte Initiative soll den Schülerinnen und Schülern ein Grundwissen über die Rechte und Pflichten der sozialen Sicherheit vermitteln.

Entscheidende Faktoren für die Entwicklung von Initiativen im Bereich Bildung und Kultur der sozialen Sicherheit

In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Faktoren zusammengefasst, die als entscheidend für die erfolgreiche Entwicklung von Initiativen zur Bildung und Kultur der sozialen Sicherheit identifiziert wurden. Diese Faktoren finden sich in allen oben genannten Beispielen guter Praxis.

Unterstützung durch die Geschäftsleitung: Hier handelt es sich um einen der wichtigsten Faktoren, der die Entwicklung von Bildungsinitiativen begünstigt. Solche Initiativen sollten umfassend sein und länger als eine Amtszeit dauern. Die Vermittlung von Bildung in sozialer Sicherheit ist ein schrittweiser Prozess; daher ist es entscheidend, dass für diesen Zweck dezidierte Mittel bereitgestellt werden.

Entwicklung einer Strategie: Die Ausarbeitung einer Strategie beinhaltet, dass ein klares Endziel definiert, Etappenziele gesteckt und die Fortschritte der Strategie regelmäßig überwacht werden. Ein zentraler Faktor der Strategie ist die Identifizierung der verschiedenen Zielgruppen und ihrer Merkmale sowie die Erarbeitung von Initiativen, die auf jede dieser Zielgruppen zugeschnitten sind.

Der Erfolg solcher Initiativen hängt auch von der Einbeziehung von Spezialistinnen und Spezialisten in den Schulungsprozess ab. Dazu gehören zum Beispiel Personen mit Erfahrung im behandelten Thema und Anbieter moderner Technologie.

Strategische Allianzen: Meist sind Verbindungen zu anderen öffentlichen Einrichtungen (auf Ebene nationaler und regionaler Zuständigkeit), wie Ministerien und Bildungsausschüsse, sowie zu anderen Organisationen mit ähnlichen Interessen und/oder privaten Interessengruppen nötig. Diese können helfen, komplexe Initiativen umzusetzen.

Schlussbetrachtung

Gewisse Teile der Bevölkerung wissen wenig oder nichts über die soziale Sicherheit, als Menschenrecht und als Schutzmechanismus, zu dem sie je nach den bestehenden Modalitäten in ihrem Land Zugang haben sollten oder könnten. Dies ist ein großes Problem. Meist wissen gerade diejenigen Bevölkerungsgruppen am wenigsten, die am verwundbarsten sind und am ehesten schutzbedürftig werden.

Für die Bürgerinnen und Bürger wird es immer wichtiger, über die soziale Sicherheit und deren Nutzen für sich selbst informiert zu sein. Es ist zudem entscheidend für sie, zu verstehen, dass die soziale Sicherheit eine tiefgreifende Wirkung auf alle Bereiche der Gesellschaft haben kann. Dank der sozialen Sicherheit haben Arbeitnehmer und ihre Familien Zugang zu Gesundheitsversorgung und zu Schutz gegen Einkommensverlust, sei es für kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit, bei Mutterschaft oder Krankheit oder für längere Zeiten infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Behinderung. Überdies sollte die Bevölkerung wissen, dass es die soziale Sicherheit ist, die dafür sorgt, dass ältere Menschen weiter ein Einkommen erhalten und Kinder und junge Menschen bestimmte Programme nutzen können.

Die Förderung einer „Kultur der sozialen Sicherheit“ bedeutet, der Öffentlichkeit die Werte und Grundsätze bewusst zu machen, die einer solchen Kultur zugrunde liegen, und rechtzeitig allen Menschen, unabhängig von Alter oder Einkommen, einfache Informationsmittel zur Verfügung zu stellen.

Die Menschen sollen ihre Realität sehen, verstehen und fühlen und sich so der Prävention und der Themen der sozialen Sicherheit bewusst werden. Zu diesem Zweck müssen Bildungszentren zu Orten der Befähigung für Lernende, Lehrkräfte und andere Mitglieder der Bildungsgemeinde werden, damit sie alle ihre Rechte und Pflichten verstehen und somit als vollwertige Mitglieder der Zivilgesellschaft leben können.

Letztlich soll dadurch die Lebensqualität für heutige und künftige Generationen verbessert und die Entwicklung des Einzelnen erleichtert werden, damit er sich seiner Rolle bei der Gewährleistung der eigenen Sicherheit und Stabilität und seines weiteren Beitrags zu der Gesellschaft, in der er lebt, bewusst wird.

Bildung ist wesentlich, wenn wir das Menschenrecht auf soziale Sicherheit zu einer Realität für alle machen wollen.

Referenzen

BPS. 2020. Conoce tus derechos y obligaciones (IVSS-Webinar). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

CChC. 2020a. Mobile Ausbildungszentren für kritische Risiken (Gute Praxis in der sozialen Sicherheit). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

CChC. 2020b. Fortbildung in Bereich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz in Zeiten von COVID-19: Digitaler Wandel in Ausbildungsabläufen (Gute Praxis in der sozialen Sicherheit). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

CCSS. 2020a. Mesa de diálogo sobre Pensión Invalidez y Muerte (IVSS-Webinar). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

CCSS. 2020b. Verwendung von QR-Codes bei der Wissensvermittlung an Patienten (Gute Praxis in der sozialen Sicherheit). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

IAA. 2009. Social Protection Education (Bericht). Genf, Internationales Arbeitsamt.

IMSS. 2020. IMSS-Plattform für Massen-Online-Kurse (CLIMSS): Gesundheitskompetenz (Gute Praxis in der sozialen Sicherheit). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

IVSS. 2016. Leitlinien der IVSS über Kommunikation von Verwaltungen der sozialen Sicherheit. Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

IVSS. 2019a. Leitlinien der IVSS über Informations- und Kommunikationstechnologie (Erweiterte Ausgabe). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

IVSS. 2019b. Leitlinien der IVSS zur Dienstleistungsqualität (Erweiterte Auflage). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

IVSS. 2019c. Leitlinien der IVSS zur arbeitsplatzbezogenen Prävention (Erweiterte Ausgabe). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

JUPEMA. 2020. Programa de sensibilización de estudiantes (IVSS-Webinar). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

MEP. 2020a. Incorporación de contenidos programáticos sobre valores y estrategias en los que se fundamenta la seguridad social (IVSS-Webinar). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

MEP. 2020b. Creación de la semana de la seguridad social (IVSS-Webinar). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.

MTEySS. 2013. Se presenta el “Programa para una Cultura de la Seguridad Social“. Buenos Aires, Ministerium für Arbeit, Beschäftigung und soziale Sicherheit.

SIPEN. 2020. Fahrplan für die Förderung der Erziehung zur Prävention: Projekte und Initiativen (Gute Praxis in der sozialen Sicherheit). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.