Um die sozialen Auswirkungen der COVID-19-Krise abzumildern, haben mehrere Länder befristete Geldtransfers an in Armut lebende oder von ihr gefährdete Bevölkerungsgruppen eingeführt. Mit diesen Zahlungen haben sie auf die spezifischen Bedürfnisse der benachteiligten Gruppen reagiert, die unmittelbar von einer Reduzierung ihrer Beschäftigungsmöglichkeiten oder ihres Einkommens betroffen sind. Zusätzlich zur Unterstützung von einkommensschwachen Familien, Kindern, Arbeitnehmern des informellen Sektors oder älteren Menschen mit niedrigem oder keinem Renteneinkommen haben mehrere Geldtransferprogramme auch auf die Aufrechterhaltung des Inlandskonsums abgezielt.
Notfallleistungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen hat es in unterschiedlichen Formen gegeben, die wie folgt klassifiziert werden können:
- Befristete Geldleistungen: Viele Länder haben neu geschaffene Geldleistungen eingeführt, die für eine begrenzte Dauer regelmäßig ausgezahlt werden. Die Anspruchsvoraussetzungen unterscheiden sich, beruhen aber häufig auf dem Einkommen, Arbeitsplatzverlust und der Größe des Haushalts.
- Einmalige Pauschalzahlungen: Verschiedene Länder haben besondere Einmalzahlungen zur Unterstützung benachteiligter Gruppen implementiert, um außergewöhnliche Bedürfnisse bei Gesundheitskosten, Arbeitsplatzverlust oder Rückführung zu schultern. In einigen Fällen wurden diese Zahlungen an die gesamte Bevölkerung geleistet, um den Konsum zu stützen.
- Ergänzungszahlungen bei bestehenden Leistungen: Einige Institutionen der sozialen Sicherheit wurden beauftragt, die Leistungen derzeitiger Empfänger vorübergehend zu erhöhen, beispielsweise durch eine Verdoppelung ihrer Leistungen für ein oder zwei Monate.
- Vorgezogene Leistungszahlungen: Die Zahlung von Leistungen vor ihrem regulären Datum ist in vielen Sozialversicherungsprogrammen umgesetzt worden und konnte hauptsächlich bei der Altersrente beobachtet werden. Zusätzlich zur Reaktion auf den besonderen Einkommensbedarf wegen der COVID-19-Krise war die Vermeidung des mit einer möglichen Überfüllung der Zahlstellen verbundenen Gesundheitsrisikos ein wichtiges Ziel.
- Zeitweise Lockerung der Anspruchsvoraussetzungen: Zur Erhöhung der Zahl anspruchsberechtigter Haushalte haben mehrere Länder den Zugang zu Leistungen für Armutsminderung vereinfacht. In diesen Fällen wurden die Einkommens- bzw. Vermögensprüfungen gelockert und Dokumentations- oder andere Verwaltungsauflagen reduziert.
- Deckungsausweitung bestehender Zahlungen: Einige Länder haben bestehende Leistungen auf bisher nicht abgedeckte Bevölkerungsgruppen ausgeweitet. Dabei lässt sich eine besondere Anstrengung zur Eingliederung von Arbeitnehmern des informellen Sektors beobachten.
Beispiele für Maßnahmen
In Kenia erhielten Senioren, Waisen und andere benachteiligte Gruppen einen einmaligen Geldtransfer. In Argentinien wurden durch die Einführung einer Familiennotbeihilfe fast 9 Millionen Haushalte unterstützt. Obwohl diese Leistung auf einkommensschwache Familien ausgerichtet war, sind 3,8 Millionen Leistungsempfänger Einpersonenhaushalte, von denen 1,5 Millionen jünger als 25 Jahre sind. In Peru wurde eine Anleihe von 380 peruanische Sol (Bono 380 soles) als Teil der Kampagne „Ich bleibe zu Hause” (Yo me quedo en casa) an eine schon festgelegte Gruppe der benachteiligsten Familien des Landes ausgezahlt, die aber erweitert worden ist, um auch einige Selbstständigenhaushalte einzubeziehen. Australien hat an die Empfänger verschiedener schon bestehender Sozialhilfeleistungen einen befristeten Coronavirus-Zuschlag gezahlt.
Kanada führte für verschiedene Senioren-Untergruppen drei spezifische Leistungen ein. Montenegro und Israel unterstützten Altersrentner auch mit einer einmaligen Extra-Barzahlung.
Angesichts der Auswirkungen der Krise auf die Arbeitsplätze führte Namibia eine Einmalzahlung sowohl für formelle als auch für informelle Arbeitnehmer ein, die ihre Jobs verloren haben. Da viele Wanderarbeitnehmer ihre Arbeitsplätze während der Coronaviruskrise verloren haben, unterstützen die Philippinen festsitzende philippinische Übersee-Arbeiter durch die Übernahme der Rückführungskosten.
In Paraguay erhielten Empfängerhaushalte des Armutslinderungs-Geldtransfers Tekoporã eine Extrazahlung. Empfänger des Armutsminderungsprogramms Bantuan Sara Hindup (BSH) in Malaysia erhielten ebenso eine Extrazahlung und sowohl die regulären als auch die zusätzlichen Zahlungen wurden von Mai auf März vorgezogen. In Singapur erhielten Senioren, die Nutzer der PAssion Card sind, eine zusätzliche Leistungszahlung.
Im Rahmen der Deckungsausweitung bestehender Programme verkündete Brasilien die Erweiterung bestehender bedingter Geldtransferprogramme auf über eine Million zusätzlicher Familien. Ebenso wurde das BSH-Geldtransferprogramm in Malaysia auf weitere 1,2 Millionen Haushalte ausgeweitet.
Institutionen der sozialen Sicherheit als Bereitstellungsmechanismus
Die schnelle Umsetzung von Notfallzahlungen an einkommensschwache Gruppen und Arbeitnehmer im informellen Sektor ist verwaltungstechnisch komplex und schwer umsetzbar. Auf bestehenden Fähigkeiten und Kenntnissen aufbauend, beauftragten viele Länder Institutionen der sozialen Sicherheit, die neu geschaffenen Leistungen bereitzustellen. Dies machte deutlich, wie wichtig eine reibungslos funktionierende Verwaltungskapazität der sozialen Sicherheit ist – mit Menschen, Technologien, Infrastruktur und Governance, um in Krisenzeiten für Erleichterung zu sorgen. Die IVSS spricht dabei von der ‘Maschinerie’ der sozialen Sicherheit: sie muss aufgebaut, gewartet und erweitert werden sowie stets verfügbar sein, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
Die Institutionen der sozialen Sicherheit haben darauf reagiert, indem sie hoch qualifizierte und leistungsbereite Mitarbeiter, digitale Tools, Anpassungsfähigkeit und Innovation einsetzten. In Kanada beispielsweise wurde für Senioren ein schneller und einfacher Zugang zu Leistungen durch vorhandene Datenbanken, Automation, Personalumschichtung und effektive interinstitutionelle Zusammenarbeit möglich gemacht.
In Argentinien wurde mit Hilfe von vorhandenen Datenbanken und der gezielten Sammlung zusätzlicher Informationen über benachteiligte Gruppen durch ein angepasstes Antragsverfahren der Nationalen Verwaltung für soziale Sicherheit (Administración Nacional de la Seguridad Social, ANSES) die Familiennotbeihilfe umgesetzt. Die Gestaltung, Zulassung und Umsetzung dieser neuen Leistung für fast 9 Millionen Haushalte wurde aufgrund der vorhandenen Kompetenz im Bereich der Leistungsverwaltung innerhalb weniger Wochen möglich gemacht. Noch wichtiger ist, dass diese Erfahrung als Grundlage für die Ausweitung regulärer Sozialversicherungsprogramme und für die zukünftige Verbesserung des Beitragseinzugs dienen wird.
Die namibische Kommission für soziale Sicherheit (Namibian Social Security Commission) schuf schnell ein neues elektronisches Antragsverfahren für die Umsetzung der Geldleistungen, die als Teil des nationalen Konjunkturpakets eingeführt wurden. Während in einer ersten Phase schon bei der Kommission registrierte Arbeitnehmer berücksichtigt wurden, ist nun auch die Neuregistrierung von Arbeitnehmern des informellen Sektors Angriff genommen worden.
Eine Reihe früherer IVSS-Artikel hat die Bedeutung von Einsatzbereitschaft und Kompetenz der Mitarbeiter, digitalen Tools und Anpassungsfähigkeit der Institutionen der sozialen Sicherheit detaillierter analysiert, um nationale Reaktionen auf die Coronaviruskrise zu ermöglichen. In allen Fällen waren Sozialversicherungsverwaltungen ein großer Vorteil bei der Krisenbewältigung und letztlich auch für die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften und Volkswirtschaften. Wo jedoch keine geeigneten Verwaltungskapazitäten vorhanden waren, hatten manche Länder Schwierigkeiten damit, die benötigte Erleichterung zu gestalten und bereitzustellen.
Schlussfolgerungen
Die Verhütung und Linderung von Armut, die Unterstützung von Familien, Kindern, Senioren und anderen benachteiligten Gruppen sowie die Konsumförderung sind wichtige Ziele verschiedener Notfall-Geldleistungstypen gewesen, die nach dem Ausbruch der Coronaviruskrise eingeführt wurden.
Diese Leistungen wurden als Ergänzung zu Maßnahmen in verschiedenen Bereichen der sozialen Sicherheit und mit Finanzierung durch gesamtstaatliche Einnahmen eingeführt, um die unmittelbare Not derjenigen zu verringern, die Konjunkturschwankungen, Arbeitsplatzverlust und hohen Einkommenseinbußen am stärksten ausgesetzt sind.
Bei der Überwindung der verwaltungsbedingten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den COVID-19-Einschränkungen ermöglichten die Kapazitäten und die Anpassungsfähigkeit der Institutionen für soziale Sicherheit die Bereitstellung vieler dieser Leistungen in kürzester Zeit.
Die kontinuierlichen und angemessenen Investitionen in Aufbau, Aufrechterhaltung und Erweiterung der Verwaltungskapazitäten der sozialen Sicherheit stärken die nationale Widerstandsfähigkeit. Dies ist eine wichtige Lehre aus der Krise. In dieser Hinsicht ist die IVSS gerade dabei, ihre Leitlinien durch die Entwicklung neuer Leitlinien zur Geschäftskontinuität und zu einer belastbaren sozialen Sicherheit zu ergänzen.