Im Rahmen eines breiter angelegten Wirtschaftsanreizpakets stunden Regierungen als Maßnahme gegen die zweite COVID-19-Welle weiterhin den Einzug von Beiträgen zur sozialen Sicherheit (BSS) für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Bisher haben 68 Länder mindestens eine solche Maßnahme eingeführt (IVSS-Coronavirus-Monitor für Ländermaßnahmen). In einer Mitteilung vom April 2020 unterstützte die Europäische Kommission solche Maßnahmen während der COVID-19-Krise als „wertvolles Instrument, um die Liquiditätsengpässe von Unternehmen zu verringern und Arbeitsplätze zu erhalten“ (EK. 2020a).
Während solche Maßnahmen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorübergehend entlasten, belasten sie den Betrieb und die finanzielle Tragfähigkeit von Institutionen der sozialen Sicherheit. Im März 2020 führte ein IVSS-Bericht (IVSS, 2020a) spezifische Länderbeispiele zur Umsetzung solcher Maßnahmen in ganz Europa auf, die von Programmen zur Arbeitsplatzerhaltung begleitet waren (ISSA, 2020b).
Dieser Artikel befasst sich mit der Entwicklung dieser Maßnahmen seit deren Beginn Anfang 2020, darunter verschiedene Anpassungen, als Lockdowns wiedereingeführt wurden und die Volkswirtschaften praktisch zum zweiten Mal zu einem Stopp kamen. Abbildung 1 unten zeigt auf einer Zeitachse ausgewählte befristete Maßnahmen, die die Erhebung von Beiträgen zur sozialen Sicherheit in einer Reihe von Ländern Europas betreffen. Die Darstellung endet Ende 2021, aber es wird damit gerechnet, dass die Stundung und die Senkung von Beiträgen zur sozialen Sicherheit noch weit bis in das Jahr 2022 fortgeführt werden könnten.
Abbildung 1. Ausgewählte befristete COVID-19-Maßnahmen betreffend Beiträge zur sozialen Sicherheit
Quelle: IVSS-Coronavirus-Monitor: Ländermaßnahmen (2021).
Anpassungen nach der zweiten Lockdown-Welle in Europa
Die drei wichtigsten Maßnahmen betreffend Beiträge zur sozialen Sicherheit seit Krisenbeginn bestehen aus einer Kombination folgender Maßnahmen:
- Senkung der Beiträge;
- Stundung der Beitragszahlungen; und
- Befreiung von der Beitragspflicht.
Diese Maßnahmen wurden angepasst und verfeinert und nach Beginn der zweiten Welle in Europa Ende 2020 erneut weiterentwickelt:
- Senkung und Neuberechnung der Beiträge zur sozialen Sicherheit:
- Verschiedene Senkungsniveaus von Beiträgen für Unternehmen je nach Betroffenheit durch die Krise (oder je nach Wirtschaftssektor), und/oder nach Anzahl der Beschäftigten;
- Senkung der Beiträge einschließlich Befreiungen (durch spätere Rückerstattungen), wenn sie mit Maßnahmen der Kurzarbeit kombiniert werden;
- Senkung der Beiträge zu bestimmten Zweigen der sozialen Sicherheit; und
- Neuberechnung der Beiträge, wenn die Löhne gesenkt wurden.
- Befreiungen:
- Allmähliche Verringerung des Befreiungsniveaus im Rahmen des Endes der Ausgangsbeschränkungen nach der ersten Welle; und
- Wiedereinführung und/oder Ausweitung großzügigerer Befreiungsmaßnahmen (zusammen mit Lockdowns in der zweiten Welle).
- Stundung und Einfrieren von Schulden:
- Keine (oder ermäßigte) Zinsen für die Stundung von Beitragszahlungen;
- Terminplanung für Ratenzahlung, einschließlich Teilzahlungen; und
- Vorübergehendes Aussetzen von Strafzahlungen für ausstehende Beiträge zur sozialen Sicherheit.
Das Beispiel Spanien: Differenzierte Stundungsniveaus und schrittweise Senkung
Von Anfang der Krise an gewährte die spanische Regierung den Arbeitgebern verschiedene Befreiungsniveaus für Zahlungen von Beiträgen zur sozialen Sicherheit je nach Wirtschaftssektor (insbesondere für direkt vom Lockdown betroffene) und Zahl der Beschäftigten (entweder mehr oder weniger als 50 Beschäftigte). Als Veränderungen im Zeitverlauf wurde ein neuer „Übergangsplan“ für die befristete Regelung von Beschäftigung (Expediente de regulación temporal de empleo auf Spanisch), oder ERTE, für Unternehmen eingeführt, deren Beschäftigte alle vorübergehend beurlaubt wurden.
Allmähliche Senkung der Befreiungen
Ende Juni 2020 wurde dieser Übergangs-ERTE für die Zeit Juli bis September 2020 eingeführt. Für die Gruppe der anspruchsberechtigten Arbeitgeber erfolgte die Maßnahme nach der gleichen Logik wie die regulären ERTEs, d. h. mit einer allmählichen Senkung der Befreiung: für Juli eine Befreiung von 70 Prozent (50 Prozent bei mehr als 50 Beschäftigten); im August 60 Prozent (40 Prozent bei mehr als 50 Beschäftigten); und im September 35 Prozent (25 Prozent bei mehr als 50 Beschäftigten).
Rückkehr zu höheren Befreiungen in der zweiten Welle
Als die zweite COVID-19-Welle Ende September 2020 Europa erreichte, gab Spanien bekannt, dass direkt betroffene Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten bis 31. Januar 2021 von der Zahlung der Beiträge zur sozialen Sicherheit befreit seien. Der Arbeitgeberanteil für Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten wurde um 90 Prozent gesenkt. Teilbetroffene Unternehmen wurden durch einen Kurzarbeitsplan mit dem Namen ERTE „wegen Einschränkungen“ (ERTE por limitaciones) unterstützt, der befristete Befreiungen von der Zahlung der Arbeitgeberbeiträge zur sozialen Sicherheit vorsah. Der ERTE galt für Unternehmen, die zwar weiter, aber infolge der Lockdown-Einschränkungen mit geringerer Auslastung betrieben werden konnten. Die Befreiungen nahmen nach dem ersten Monat um 10 Prozent ab und um weitere 5 Prozent in den nächsten beiden Monaten.
Im Januar 2021 wurde die Maßnahme wegen der Wiedereinführung eines Lockdowns mit einem höheren Befreiungssatz von bis zu 100 Prozent für direkt betroffene Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten bis Mai 2021 verlängert. Tabelle 1 unten fasst diese Veränderungen zusammen. Die Rückkehr zu hohen Befreiungsniveaus seit Anfang 2021 spiegelt nicht nur die Schwere des wirtschaftlichen Einbruchs, sondern auch gewollt großzügige Maßnahmen zur Eindämmung des Anstiegs der Arbeitslosenquote wider.
Art von Unternehmen und Umstände | Okt. 2020 | Nov. 2020 | Dez. 2020 | Jan. 2021 | Feb.-Mai 2021 | |
---|---|---|---|---|---|---|
Direkt betroffene Unternehmen können eine Verringerung der Arbeitsstunden ihrer Beschäftigten beantragen | Mit weniger als 50 Beschäftigten einschließlich der Selbstständigen | 100% | 100% | 100% | 100% | 100% |
Mit 50 Beschäftigten oder mehr | 90% | 90% | 90% | 90% | 90% | |
Indirekt betroffene Unternehmen können eine Verringerung der Arbeitsstunden ihrer Beschäftigten beantragen | Mit weniger als 50 Beschäftigten | 100% | 90% | 85% | 80% | 100% (Feb.); 90% (März); 85% (Apr.); 80% (Mai) |
Mit 50 Beschäftigten oder mehr | 90% | 80% | 75% | 70% | 90% (Feb.); 85% (März); 75% (Apr.); 70% (Mai) |
|
Quelle: Angepasst von Pressemitteilungen der spanischen sozialen Sicherheit von Oktober 2020 bis Februar 2021. |
Umsetzung in anderen Ländern
Senkung und Stundung von Beitragszahlungen für eine bestimmte Notlage der sozialen Sicherheit
In Finnland wurde der Arbeitgeberanteil an Beitragszahlungen der sozialen Sicherheit für Renten des Privatsektors für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Dezember 2020 um 2,6 Prozent gesenkt. Zugleich stimmte die finnische Regierung der Stundung von BSS-Zahlungen für Altersrenten durch Arbeitgeber für drei Monate zu. Aufgrund von Sorgen über die Tragfähigkeit des Systems erlaubte es die Regierung Finnvera, einem staatlichen Finanzierungsunternehmen, seine Gesamtkredite für Unternehmen zu erhöhen und Garantien zu stellen, damit sie über Mittel verfügen, u. a. um gestundete und zukünftige Beiträge zu bezahlen. Die Beiträge zum Rentensystem des Privatsektors werden von 2022 bis 2025 schrittweise angehoben, um seine Finanzposition wieder aufzufüllen. Zusätzlich wird die Regierung ab 50 Prozent und bis zu 80 Prozent der Verluste decken, die Finnvera durch diese befristeten Maßnahmen entstehen.
Volle und teilweise Befreiung von Beitragszahlungen in Form der Erstattung
In Deutschland wurde die volle Erstattung von Arbeitgeberbeiträgen im Fall von Kurzarbeit bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2021 werden 50 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge erstattet, wenn die Kurzarbeit spätestens am 30. Juni 2021 beginnt. Wie in Spanien und Frankreich ist die Beitragserstattung ein Bestandteil des Kurzarbeitssystems.
Auch die vor kurzem in Frankreich eingeführte gesetzliche langfristige Teilzeitbeihilfe in Höhe von 70 Prozent der vorherigen Bezüge von Arbeitnehmenden (wobei das 4,5-Fache des Mindestlohns nicht überschritten werden darf, was ab Anfang Februar 2021 um 60 Prozent gesenkt wird) unterliegt keinen Beiträgen zur sozialen Sicherheit:
Differenzierte Stundungsniveaus je nach Gewinnausfall
Wie Spanien und andere Länder unterstützt Frankreich während der zweiten Welle die am härtesten getroffenen Unternehmen mit höheren BSS-Befreiungen. Seit Oktober 2020 gibt es für Geschäfte in Bereichen, die im Lockdown keine Kunden empfangen dürfen, wie Tourismus, Hotels, Verpflegung, Sport, Kultur, Luftfahrt und Veranstaltungen, mit einem Gewinnausfall von mindestens 50 Prozent im Vergleich zur jeweiligen Vorjahresperiode eine ganze oder teilweise Befreiung. Nicht betroffene Geschäfte sind jene, bei denen eine Lieferung, Abholung oder Mitnahme möglich ist. Für 2021 wird die ganze oder teilweise Befreiung wie folgt gewährt:
Befreiungssatz | Umsatzrückgang 2021 gegenüber 2020 |
---|---|
100% | Mehr als 60% |
50% | 40%-60% |
25% | Mindestens 20% |
Abschlag | Kann Geschäften in anderen Wirtschaftssektoren gewährt werden, in denen infolge der Lockdowns und der Wirtschafts- und Gesundheitskrise insgesamt die Wirtschaftstätigkeit abgenommen hat. |
Quelle: Urssaf, 2021. |
Notfallbefreiung
Im Dezember 2020 beschloss Frankreich, kleinen und mittleren Unternehmen und Selbstständigen in den am schlimmsten getroffenen Sektoren (z. B. Tourismus, Hotels, Cafés und Gaststätten, Veranstaltungen und Kultur) Zugang zu Notfallbefreiung von Beiträgen zur sozialen Sicherheit zu gewähren. Angesichts der zweiten Welle der Gesundheitskrise sieht das Gesetz zur Finanzierung der sozialen Sicherheit Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen und Verbänden vor, die direkt von der Krise betroffen sind. Diese Maßnahmen werden in Erlassen und je nach Sektor definiert. Unter gewissen Umständen können Unternehmen und Verbände Finanzhilfe erhalten, um die Beiträge zu zahlen, oder teilweise von der Zahlung der Arbeitgeberbeiträge befreit werden. Unterschieden wird nach Unternehmensgröße (z. B. Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten und solche mit weniger als 50 Beschäftigten) und Schwere der Krisenfolgen für den Sektor.
Ratenzahlungen für gestundete Beitragszahlungen
Arbeitgeber, die sich für eine Stundung entscheiden, können meist zinslose Ratenzahlungen leisten. So ist es in der Schweiz, wo Beitragszahlungen bis zu sechs Monate zinsfrei gestundet werden. Diese Senkungen gelten für Zahlungspflichten für Alters-, Behinderten- und Hinterbliebenenrenten sowie Familienbeihilfen. Zunächst wurden für einen Monat (19. März bis 19. April 2020) die Schulden beim nationalen System der sozialen Sicherheit eingefroren. Wenn die Gesamtlohnzahlungen sanken (z. B. wegen Kündigungen) wurden die Arbeitgeberbeiträge bei einer entsprechenden Benachrichtigung der Verwaltung der sozialen Sicherheit angepasst.
Schlussfolgerungen
Viele Länder in Europa haben verschiedene befristete Maßnahmen in Bezug auf die Beiträge zur sozialen Sicherheit umgesetzt, um Geschäfte und Arbeitnehmende während der COVID-19-Krise zu unterstützen. Diese Maßnahmen entwickelten sich im Jahr 2020 und werden infolge der Längerfristigkeit der Krise 2021 weiter laufend angepasst. Bestrebungen, zu einem Ausgleich zwischen der kurzfristig notwendigen wirtschaftlichen Entlastung für die Arbeitgeber und Arbeitnehmenden und der längerfristigen Notwendigkeit eines angemessenen und tragfähigen Systems der sozialen Sicherheit zu gelangen, leiten diese Maßnahmen und Anpassungen.
Die Unterbrechung der Wirtschaftstätigkeit infolge der langen Dauer der Pandemie bringt ernste Herausforderungen für die Institutionen der sozialen Sicherheit mit sich. Die wichtigste ist die Auswirkung auf die finanzielle Solidität der Institution auf kurze wie auf lange Sicht. Es gibt auch praktische Probleme bei der Tragfähigkeit der befristeten Maßnahmen und ihrer zentralen Parameter wie Höhe und Dauer der Befreiung, Durchführbarkeit und Bezahlbarkeit der Rückzahlung und Ratenpläne, und die Sanktionssätze für verspätete Beitragszahlungen.
Zentral ist auch, dass das ordnungsgemäße Einhalten der Maßnahmen gewährleistet wird, um die Deckungsniveaus für formale Beschäftigung beizubehalten, die wiederum der Beibehaltung der Niveaus der Deckung durch die soziale Sicherheit entsprechen. Das Erreichen von Ersterem erfordert in der Verwaltung der sozialen Sicherheit Praktiken der Good Governance mit einem Fokus auf Mechanismen zur Kontrolle der Beitragseinzuges (IVSS, 2011).
Referenzen
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Bundesagentur für Arbeit. Corona-Virus: Informationen für Unternehmen zum Kurzarbeitgeld. Nürnberg.
Bundesregierung. 2020. „Erleichterter Zugang zur Kurzarbeit wird verlängert“, in Coronavirus in Deutschland. Berlin, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung.
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EK. 2020a. Policy measures taken against the spread and impact of the coronavirus. Brüssel, Europäische Kommission.
EK. 2020b. Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19. Brüssel, Europäische Kommission.
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Enoff, L.; Ruggia-Frick, R. 2013. Innovationen beim Beitragseinzug und bei der Einhaltung der Bestimmungen. Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
Gómez, M. V.; Gutiérrez, H.; Pérez, G. R. 2020. „Spain extends ERTE furlough scheme until January 31”, in El País, 30. September.
IVSS. 2011. Erfolgsfaktoren bei Beitragseinzug und Durchsetzung der Bestimmungen (Sozialpolitik im Brennpunkt, Nr. 20). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
IVSS. 2019. Leitlinien der IVSS über Beitragseinzug und Einhaltung der Bestimmungen (Erweiterte Auflage). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
IVSS. 2020a. Vorübergehende Flexibilität und Ausnahmen bei der Entrichtung von Beiträgen zur sozialen Sicherheit (COVID-19 Monitor – Nachrichten und Analysen). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
IVSS. 2020b. Bewältigung der Beschäftigungsherausforderungen in der zweiten Welle der COVID-19-Pandemie: der Fall Europas (COVID-19 Monitor – Nachrichten und Analysen). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
IVSS. 2021. Coronavirus-Ländermaßnahmen (COVID-19 Monitor). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
Staatssekretariat für soziale Sicherheit. 2020. „El Gobierno aprueba la extensión de los beneficios de los ERTE hasta el 31 de enero, tras el acuerdo con los agentes sociales”, in Seguridad Social, 29. September.
Urssaf. 2020a. Activité partielle: nouveau dispositif suite au Covid-19. Frankreich, Unions de recouvrement des cotisations de sécurité sociale et d'allocations familiales.
Urssaf. 2020b. Mesures exceptionnelles: reconduction de l’exonération de cotisations patronales et de l’aide au paiement des cotisations. Frankreich, Unions de recouvrement des cotisations de sécurité sociale et d'allocations familiales.