Die Verwaltungen der sozialen Sicherheit verfolgten in den letzten Jahrzehnten verstärkt digitale Strategien, und die Coronakrise hat die digitale Transformation nun noch weiter beschleunigt. In der Reaktion auf den beispiellosen Bedarf hat sich gezeigt, dass digitale Systeme trotz operativer Einschränkungen eine hohe Widerstandsfähigkeit und Skalierbarkeit aufweisen. Dies hat die Institutionen der sozialen Sicherheit dazu gedrängt, digitale Dienstleistungen zum Standard zu machen. Der vorliegende Artikel beschreibt Erfahrungen von Institutionen der sozialen Sicherheit aus Europa.
Der Ausdruck „Digitale Dienstleistungen als Standard“ (digital by default) verweist auf die Eigenschaft digitaler Dienstleistungen als unkomplizierte und zweckmäßige Hilfsmittel, was zur Folge hat, dass alle Personen, die digitale Dienste nutzen können, sich dafür entscheiden werden, während diejenigen, die dies nicht können, keineswegs ausgeschlossen sind (GOV.UK, 2012). Hinter der schnellen Umstellung auf digitale Dienstleistungen stehen vor allem zwei Treiber: die Technologien und die Mitarbeiter (Human Resources) (Ortiz, 2022a). Bei der digitalen Transformation geht es also genauso sehr um einen Wandel der Mitarbeitenden wie um einen Wandel der eingesetzten Technologien. Die Institutionen sind nun dank technologischer Neuerungen in der Lage, Dienstleistungen, Tätigkeiten und Prozesse besser zu gestalten, aber dies geschieht erst im Zusammenspiel mit den Mitarbeitenden. Die wirksame Steuerung des Humankapitals einer Institution von der Einstellung über die Vergütung, Bindung, Weiterbildung und Betreuung bis hin zur beruflichen Entwicklung der Mitarbeitenden wird deshalb entscheidend dafür sein, wie erfolgreich eine Institution ihre ehrgeizigen Ziele in diesem Zusammenhang umsetzen kann. In den Leitlinien der IVSS über Good Governance heißt es dazu: „Menschen – und ihre Talente, Erfahrungen und Fähigkeiten – sind entscheidend für die Leistung, Widerstandskraft und Dynamik einer Organisation.“
Die digitale Transformation wirkt sich in zweierlei Hinsicht auf das Personal und das Personalmanagement von Institutionen der sozialen Sicherheit aus:
- Auswirkungen auf das Personalmanagement: Die zentralen Aufgaben des Personalmanagements (siehe Schaubild 1) sind in der digitalen Welt zwar weitgehend dieselben wie zuvor, aber die Erledigung dieser Aufgaben kann mit Technologien stark vereinfacht werden. Technologisch bedingte Reformen des Personalmanagements werden in Zukunft einen entscheidenden Beitrag zu einer erfolgreichen Rekrutierung, Weiterbildung, Bindung, Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeitenden leisten.
- Auswirkungen auf die Fähigkeiten, Kompetenzen und Kapazitäten der Mitarbeitenden: Es ist nicht etwa so, dass die menschlichen Kapazitäten vollständig durch Technologien ersetzt werden; vielmehr hat der Einsatz von Technologien zur Folge, dass andere und breiter gefächerte Kompetenzen der Mitarbeitenden in den Vordergrund treten (Gujral, 2016). So werden Sachbearbeiter dank der Automatisierung von Routineaufgaben freigestellt und können sich auf komplexere Fälle konzentrieren, die wiederum mehr soziale Kompetenzen erforderlich machen. Für die Gestaltung unkomplizierter digitaler Selbstbedienungsanwendungen braucht es Untersuchungen von Nutzerdaten und Know-how in der Produktgestaltung. Die steigende Nachfrage nach datenbasierten Analyseverfahren kann jedoch nicht ohne kompetente Fachleute im Bereich Data Science bewältigt werden. An diesen Kompetenzen mangelt es derzeit aber: So gaben 63 Prozent von 250 in sieben europäischen Ländern untersuchten staatlichen Behörden an, dass die Nutzung von Cloud-Dienstleistungen durch den Mangel an Kompetenzen und Erfahrungen behindert wird (IDC, 2021). Der Aufbau dieser neuen Kompetenzen braucht Zeit und erfordert von den bestehenden Mitarbeitenden viel Agilität und Anpassungsfähigkeit. Das Personalmanagement muss den Wandel der benötigten Kompetenzen erkennen und entsprechende Vorkehrungen treffen und gleichzeitig die bestehenden Mitarbeitenden nach Möglichkeit schulen.
Schaubild 1. Bestandteile des Personalmanagements


Quelle: Armstrong und Taylor (2020).
Erfahrungen mit der Transformation des Personals in Europa
Angesichts der Tatsache, dass Personal und Technologien nur im Zusammenspiel zu haben sind, versammelte die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) ihre Mitglieder, um Wissen über die Transformationsvorgänge im Zeitalter Mensch-und-digitale-Technologien zu sammeln. Im Abschnitt Personalpolitik der Leitlinien der IVSS über Good Governance sind die wichtigsten Strategien für Einstellung, Bindung und Entwicklung zusammengestellt. Und in den neuen Leitlinien der IVSS über Personalmanagement in der Verwaltung der sozialen Sicherheit (IVSS, 2022) wird noch deutlicher betont, dass die personellen und technologischen Ressourcen strategisch mit einer umfassenden Steuerung aufeinander abgestimmt sein müssen. Dass Technologien und Mitarbeiter einander vor allem in einigen fortgeschritteneren europäischen Ländern auf glückliche Art ergänzen, war auch Gegenstand verschiedener Webinare, Rundtische und Veröffentlichungen. Dieser Artikel hat zum Ziel, das Thema am Beispiel Europas zu vertiefen, indem verschiedene jüngere Erfahrungen von Mitgliedsinstitutionen in einigen Bereichen des Personalmanagements zusammengefasst werden (Schaubild 1): (i) die allgemeine Transformation des Personalmanagements, (ii) Lernen und Entwicklung sowie (iii) das Wohlbefinden der Mitarbeitenden während der Umstellung.
Neuausrichtung des Personalmanagements
Sozialversicherungsanstalt, Polen
Die polnische Sozialversicherungsanstalt (Zaklad Ubezpieczen Spolecznych – ZUS) hat ihr Personalmanagement neu gestaltet, indem die frühere Abteilung für Personalangelegenheiten in die Abteilung für Human Resources Management (HR-Management) umgewandelt wurde (ZUS, 2019). Damit wurde sichergestellt, dass die Personalmanagementprozesse auf die ehrgeizige Strategie der Institution abgestimmt sind. Innerhalb der neuen Struktur wurden HR-Geschäftspartner auf nationaler und regionaler Ebene ernannt. Der neue Bereich für HR-Controlling und Vergütung befasst sich mit dem Lohnfonds-Management und bestimmt die Planstellen und die optimale Zahl von Mitarbeitenden der ZUS. Anhand von Interviews, Umfragen und Workshops wurde ein Wertversprechen für Mitarbeitende (employee value proposition) ausgearbeitet, damit die Sozialversicherungsanstalt Talente anwerben kann. Für alle ZUS-Abteilungen wurden Einstellungsstandards entwickelt, um die Transparenz und Wirksamkeit der Rekrutierungstätigkeiten zu erhöhen. Zudem wurde eine Softwareanwendung für die Erfassung der An- und Abwesenheiten entwickelt. Beim Transformationsprozess standen Inklusion, Ethik und Sicherheit im Mittelpunkt: Die Sozialversicherungsanstalt integriert systematisch Menschen mit Behinderungen in ihr Personal. Außerdem wurde eine Kommission für die Prävention und den Umgang mit Mobbing und Diskriminierung eingerichtet.
Lernen und Entwicklung
Sozialversicherungsanstalt, Polen
Ein wichtiges Element der allgemeinen Transformation der Sozialversicherungsanstalt, das Beachtung verdient, ist das neue einheitliche Weiterbildungs- und Beurteilungssystem (ZUS, 2020). Dieses System wurde eingeführt, um die Fähigkeiten der 40 000 ZUS-Mitarbeitenden wirksam zu entwickeln und zu entlohnen. Die Sozialversicherungsanstalt erarbeitete zunächst ein Kompetenzmodell, nachdem die bestehenden Stellenbeschreibungen umfassend überprüft worden waren. Vor der Einführung des Kompetenzmodells erfolgten das Lernen, die Entwicklung und das Leistungsmanagement nur gelegentlich und unvollständig. Das neue Kompetenzmodell umfasst nun 17 Kompetenzen aus drei Bereichen (allgemeine Kompetenzen, Fachkompetenzen und Führungskompetenzen) sowie die erwarteten Verhaltensweisen für jede Kompetenz. Passend zum Kompetenzmodell wurde eine Online-Lernplattform eingeführt. Die Open-Source-Plattform erlaubte unkompliziertes Lernen aus der Distanz, ergänzend zu den Präsenzschulungen, wie sie vorwiegend noch vor der Pandemie stattgefunden hatten. Des Weiteren wurde ein Mitarbeiterbeurteilungssystem eingeführt, in dem bestimmte Kompetenzen der Mitarbeiter regelmäßig beurteilt werden. Diese jährlich stattfindende Beurteilung umfasst Selbstbeurteilungen der Mitarbeitenden, Beurteilungen durch Vorgesetzte sowie Gespräche im Anschluss.
Staatliches Sozialversicherungsamt, Litauen
Das Staatliche Sozialversicherungsamt der Republik Litauen (State Social Insurance Fund – SODRA) hatte aufgrund der beschränkten digitalen Kenntnisse der Mitarbeitenden mit Problemen bei der Softwarequalität zu kämpfen. Ohne ausreichende digitale Kompetenzen war die Einführung neuer Software oft kontraproduktiv, da mehr manuelle Eingaben nötig waren, die Fehlerzahl stieg und die Zufriedenheit der Versicherten sank. Anstatt IT-Fachleute einzustellen und sie dann in den Geschäftstätigkeiten des Sozialversicherungsamts zu schulen, entschied man sich dafür, die vorhandenen Sozialversicherungsfachleute mit dem erforderlichen IT-Wissen auszustatten (SODRA, 2020). Das Sozialversicherungsamt entschied sich also für eine Schulung der Sachbearbeiter anstatt für eine Einstellung von IT-Fachleuten. Dies hatte folgende Gründe: (i) die benötigten IT-Kompetenzen waren eher grundlegender Art (wie Structured Query Language (SQL), Oracle Forms und Reports, Java) und (ii) es war wichtiger, dass die Mitarbeitenden über ein gutes Verständnis der Geschäftsprozesse und darüber verfügen, wie die User mit dem Informationssystem arbeiten. Diese Fachleute wurden nun als Superuser bezeichnet und teilten ihre Zeit zwischen Routineaufgaben und der Entwicklung des Informationssystems auf. Mit dieser Initiative wurden 40 Superuser ausgebildet, zehn für jeden der SODRA-Haupttätigkeitsbereiche, nämlich die Verwaltung des Registers, die Durchsetzung der Beitragszahlungen, die Auszahlung der Renten und die Auszahlung anderer Leistungen.
Die Superuser erhöhten den Wert der IT-Investitionen des Sozialversicherungsamts auf verschiedene Weise. Erstens analysierten und beurteilten die Superuser neue Softwareprogramme hinsichtlich ihrer Relevanz, Benutzerfreundlichkeit und aktuellen Funktionalität. Zweitens konnten sie anhand ihres umfangreichen Wissens über Sozialversicherungsprozesse die Software angemessen testen, und sie berücksichtigten dabei Sonderfälle, die von IT-Experten kaum beachtet würden. Drittens berieten sie Kollegen in den lokalen Dienststellen bei der Einführung von Softwareprogrammen, was den IT‑Fachleuten Zeit sparte und zur Vereinheitlichung der Praktiken in den Geschäftsstellen beitrug.
Landesamt für Arbeit, Belgien
Das belgische Landesamt für Arbeit (Office national de l’emploi – ONEM) beschleunigte die digitale Transformation der Rekrutierungs- und Ausbildungsprozesse, um sicherzustellen, dass angesichts der pandemiebedingten Einschränkungen zusätzliches Personal für den Mehrbedarf an Dienstleistungen zur Verfügung stand. Eine vollkommen digitale Rekrutierungs- und Ausbildungsstrategie wurde eingeführt, um eine große Zahl neuer Mitarbeitender innerhalb kurzer Zeit online auszuwählen und einzuarbeiten. So gelang es, den über 1,7 Millionen von der Krise betroffenen Versicherten ihre Leistungen zukommen zu lassen (ONEM, 2020). Das Landesamt für Arbeit richtete schnell einen Fern-Rekrutierungsprozess ein, in dessen Rahmen 20 Rekrutierungsverantwortliche geschult wurden, die insgesamt 1 117 Online-Bewerbungsgespräche durchführten. Die Schulungsinhalte wurden neu gestaltet, und kritische Dienstleistungen rückten in den Vordergrund. Für 96 Schulungsleitende wurden Online-Kurse angeboten, in denen es vor allem um interaktive Lernmethoden ging, mit denen sich das digitale Lernumfeld interessanter gestalten lässt. Dank der zusätzlichen, von der Regierung genehmigten staatlichen Mittel war das Landesamt in der Lage, 317 neue Mitarbeitende einzustellen und entsprechend zu schulen. Insgesamt wurden 1 840 Tage mit Online-Schulungen zur Einführung und 3 246 Arbeitstage mit Kursen über Geschäftsprozesse und zu Kompetenzen im Bereich Arbeitslosenleistungen absolviert.
Wohlbefinden der Mitarbeitenden während der Umstellung
Landesamt für Arbeit, Belgien
Da während der Pandemie 92 Prozent des Personals in Vollzeit im Homeoffice arbeiteten, stand das Landesamt für Arbeit vor neuen Herausforderungen hinsichtlich der Förderung des Wohlbefindens der Mitarbeitenden. Neben der Bereitstellung einer hinreichenden Personaldecke startete das Landesamt im März 2020 auch verschiedene Initiativen für das Wohlbefinden, um den Mitarbeitenden zu helfen, in ihrem neuen Arbeitsumfeld zu Hause zurechtzukommen (ONEM, 2020). Eine zentrale Anlaufstelle wurde eingerichtet, in der alle coronabezogenen Arbeitsfragen beantwortet wurden. Man stellte eine Liste mit häufig gestellten Fragen mit gebündelten Informationen zu COVID-19 zusammen und organisierte Online-Teambuildingaktivitäten. Die Mitarbeitenden wurden bei der Einrichtung ihres Homeoffice unterstützt. Schließlich wurden zwischen Oktober 2020 und Oktober 2021 in allen Dienststellen und Abteilungen des Landesamts Beurteilungen psychosozialer Risiken durchgeführt.
Landeskasse für Familienzulagen, Frankreich
Die französische Landeskasse für Familienzulagen (Caisse nationale des allocations familiales – CNAF), die das gesamte Netzwerk der 101 Kassen für Familienzulagen verwaltet, leitete verschiedene Unterstützungsmaßnahmen ein, um den Mitarbeitenden zu helfen, die Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen (CNAF, 2020). Dazu gehörten eine Beratung, eine Begleitung durch Webinare und nützliche Artikel sowie Umfragen, in denen die Mitarbeitenden regelmäßig nach ihrem psychischen Befinden gefragt wurden. Diese Strategie wurden auf der Grundlage der Leitlinien der IVSS zur Förderung der Gesundheit am Arbeitsplatz und der Leitlinien der IVSS zur arbeitsplatzbezogenen Prävention erarbeitet.
In den ersten Tagen der Krise verteilte die Landeskasse eine Anleitung für gute Praxis im Homeoffice und organisierte Videokonferenzen für Manager, in denen erklärt wurde, wie sie ihre Teams im Homeoffice besser unterstützen können. Angesichts der möglichen negativen Auswirkungen einer Vollzeitarbeit im Homeoffice baute die Landeskasse ihre Hilfe ab April 2020 stark aus und richtete eine permanente Unterstützungsstelle für die Lebensqualität im Homeoffice ein. Die Stelle bot allen Mitarbeitenden Termine, damit sie ihren Alltag und eventuelle Schwierigkeiten vorbringen konnten, und ihnen wurden Lösungen zur Bewältigung der Situation angeboten. Grundlage der Strategie bildeten die Ergebnisse einer Umfrage mit 37 Fragen zur Lebensqualität am Arbeitsplatz, die nützliche Informationen zur Gestaltung neuer Arbeitsmodelle lieferte. Die Stelle bot neu Eingestellten auch eine besondere Unterstützung für die Bewältigung der Herausforderungen aufgrund des ungewohnten Einstiegs in die Arbeit im Homeoffice an. So erhielten 80 neu Eingestellte während zwei Wochen im Juni 2021 jeden Morgen Gelegenheit zu einem einstündigen Gespräch mit einem Direktor des CNAF-Vorstands, damit sich ihr Zugehörigkeitsgefühl zur Institution verbesserte.
Deutsche Rentenversicherung Bund
Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) leitete Maßnahmen ein, um die Veränderungen durch die Digitalisierung der Fallmanagementakten proaktiv zu begleiten (DRV Bund, 2020). Die DRV Bund führte eine „Pulsfühlung“ ein, bei der die Ängste und Sorgen der Fallbearbeiter im Zusammenhang mit der Umstellung auf eine digitale Dokumentenbearbeitung gesammelt wurden.
Die Leitlinien der IVSS über Informations- und Kommunikationstechnologie dienten als Grundlage für die Gestaltung dieser „Pulsfühlung“, die hauptsächlich aus einer quantitativen Umfrage und einem einstündigen Workshop bestand. Die Ergebnisse wurden schnell analysiert, und je nach Bedarf wurden Unterstützungsmaßnahmen eingeleitet. Die Berichte wurden in der gesamten Institution bekannt gemacht, um das Vertrauen und die Transparenz des Prozesses zu erhöhen. Die Berücksichtigung der Meinung der Mitarbeitenden vermittelte diesen ein Gefühl der Wertschätzung, und so trug die „Pulsfühlung“ zum Erfolg der digitalen Transformation bei.
Ergebnisse
In Tabelle 1 sind die Ergebnisse zusammengestellt, die die vorgestellten Institutionen dank Innovationen im Bereich Personalmanagement erreicht haben.
Institution | Ergebnisse |
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ZUS – Polen |
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SODRA – Litauen |
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ONEM – Belgien |
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CNAF – Frankreich |
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DRV Bund Deutschland |
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Erfolgsentscheidende Faktoren
Die Berücksichtigung der Meinung der Mitarbeitenden ist entscheidend für den Erfolg von Initiativen des Personalmanagements. Die Mitarbeitenden nehmen eine veränderte Mitarbeiterführung besser an, wenn ihre Rückmeldungen Gehör finden. So bat das SODRA in Litauen verschiedene Mitarbeiter, sich zum Superuser-Programm zu äußern und Angaben zu den Vorteilen des Projekts, zum Entscheidungsprozess, zu den erwarteten Ergebnissen und zu den Fristen zu machen. Die CNAF Frankreichs und die DRV Bund in Deutschland führten beide bilaterale Mechanismen ein, um sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden über die Veränderungen im Personalmanagement auf dem Laufenden sind.
Veränderungen im Personalmanagement wirken sich zwangsläufig auf die Dynamik der Beziehungen mit den Mitarbeitenden aus und müssen daher sorgfältig geplant und sorgfältig umgesetzt werden. So hätten in Litauens Fall normale User Neid auf die Superuser entwickeln können, da letztere plötzlich über bessere Karriereaussichten verfügten. Die Abteilungen, in denen die Superuser tätig waren, mussten sich zum ersten Mal besser mit der IT-Abteilung abstimmen (und umgekehrt), was zu Reibungen in der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachrichtungen hätte führen können. Entscheidend war, dass diese Dynamik erkannt und darauf reagiert wurde. In ähnlicher Weise machten der Inhalt der „Pulsfühlung“ und ihre Implementierung eine sorgfältige Planung erforderlich, um zu vermeiden, dass die Initiative durch negative Rückmeldungen gefährdet wird.
Erfolgreiche Initiativen wurden zunächst durch Pilotprojekte getestet, die den Institutionen halfen, mögliche Risiken im Voraus zu erkennen und sich darauf vorzubereiten. Die ZUS in Polen konnte zum Beispiel nicht davon ausgehen, dass ihre Online-Weiterbildungen reibungslos für die Bedürfnisse aller ihrer 40 000 Mitarbeitenden funktionieren würden. Um ein ordentliches Funktionieren der Online-Lernplattform sicherzustellen, wurde vor der Umsetzung ein Pilotprojekt gestartet. In diesem Pilotprojekt ging es unter anderem darum, die Plattform zu konfigurieren, also: das Authentifizierungssystem vorzubereiten, das System für die Weiterbildungen zu starten, ein Kontensystem umzusetzen, Zugangsrechte zuzuweisen, eine Grafik-Oberfläche zu entwerfen, Fachvokabular einzuführen, die automatische Archivierung und Berichterstattung vorzubereiten usw. In Deutschland führte die DRV Bund vor der Implementierung ihrer „Pulsfühlung“ vorbereitende Tests durch.
Wichtig ist der Hinweis, dass Änderungen im Personalmanagement wie alle Änderungen schrittweise vorgenommen werden sollten. Die spezifischen Änderungen des Rekrutierungs- und Schulungsprozesses des ONEM in Belgien waren nur möglich, weil die Institution bereits 2014 ergänzend ein Arbeiten im Homeoffice gestattet und entsprechende Infrastruktur eingerichtet hatte. Außerdem gab es schon 1982 ein Team aus Fachleuten für Lernen und Kompetenzentwicklung, das wichtige Erkenntnisse für die Gestaltung und Steuerung von Änderungsinitiativen sammelte. In ähnlicher Weise startete die CNAF in Frankreich bereits 2014 mit Homeoffice-Arrangements in geringem Umfang, so dass der Wandel bei Ausbruch der Pandemie bereits in ersten kleinen Schritten eingeleitet war und die Umstellung weniger abrupt erfolgte und damit leichter umgesetzt werden konnte.
Schlussbemerkungen
2021 gaben in einer Umfrage 88 Prozent der befragten Führungskräfte des öffentlichen Diensts an, dass die Geschäftsstrategie und die Technologiestrategie ihrer Institution mittlerweile untrennbar miteinander verbunden seien (Accenture, 2021). Dieses synergetische Verhältnis gilt auch für Technologien und Personal, was letztlich bedeutet, dass technologischer Fortschritt nicht ohne die entsprechenden Reformen für das Personal zu haben ist. Führungskräfte der sozialen Sicherheit von IVSS-Mitgliedsinstitutionen erklärten an einem CEO-Rundtisch, dass auf dieser menschlichen und zugleich digitalen Reise das eine nicht ohne das andere geht. Gleichzeitig gibt es einige allgemeine sozioökonomische Trends, die bestimmen, in welcher Richtung sich die Personalverwaltung derzeit entwickelt (Ortiz, 2022a). Der stärkere Bedarf an flexiblen Arbeitsmodellen, die Zunahme von aus der Distanz agierenden Arbeitnehmern, die neuen Erwartungen der Beschäftigten, die wachsenden Datenschutzrisiken und andere Faktoren haben dazu geführt, dass nicht mehr wie bisher agiert werden kann. Des Weiteren machen es die Auswirkungen der Bevölkerungsalterung auf die Beschäftigung im öffentlichen Dienst vor allem in OECD-Ländern erforderlich, dass die Personalplanung verstärkt strategisch ausgerichtet wird und sich an die sich wandelnden Erwartungen der Beschäftigten anpasst, wenn eine Mitarbeiternachfolge ohne Unterbrüche sichergestellt werden soll (McKinnon, 2010). Einige IVSS-Mitgliedsinstitutionen haben für diese Herausforderung innovative Lösungen gefunden, während andere noch mit der Transformation kämpfen. So hat der Verband der Landeskassen für soziale Sicherheit (Union des caisses nationales de sécurité sociale – UNCASS) (UNCASS, 2022) in Frankreich sein Wertversprechen für Mitarbeitende (employee value proposition) neu definiert und nutzt heute zusätzliche Rekrutierungskanäle, um eine neue Generation von Arbeitskräften anzusprechen.
Die Transformation des Personalmanagements ist unerlässlich, wenn die Institutionen in einer Zeit ständiger technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen Dienstleistungen der sozialen Sicherheit von hoher Qualität anbieten möchten. Die Veränderung des Wesens von Arbeit, der Arbeitsplätze und der Arbeitsweisen verlangt eine Neugestaltung und Neuausrichtung des Personalmanagements, damit sichergestellt werden kann, dass die Belegschaft – und auch die Institution – weiterhin gedeihen und im veränderten Umfeld erfolgreich agieren können. Voraussetzung dafür ist, dass die digitalen Technologien nutzbringend für die Neugestaltung der verschiedenen Funktionen des Personalmanagements eingesetzt werden. So gibt es Mitgliedsinstitutionen, die in ihrem Rekrutierungsprozess probeweise Methoden der Künstlichen Intelligenz einsetzen (UNCASS, 2022). Gleichzeitig werden die Institutionen der sozialen Sicherheit ihren Personalbedarf strategisch planen müssen. Dazu gilt es unter anderem zu klären, wo eine Weiterbildung die Lösung ist und wo neue Talente oder externe Dienstleistungen akquiriert werden müssen. Denn letztlich hängt der digitale Reifegrad einer Institution nicht nur von der Raffiniertheit der eingesetzten Technologien allein ab, sondern auch davon, ob die Belegschaft in der Lage ist, die Technologien vorteilhaft zur Erweiterung der menschlichen Kompetenzen und der Fähigkeiten der Institution einzusetzen (Ortiz, 2022b).
References
Accenture. 2021. Leading a public sector digital transformation. Chicago, IL.
Armstrong, M.; Taylor, S. 2020. Armstrong's handbook of human resource management practice. London, Kogan Page.
AWS Public Sector Blog. 2021. „European public sector: Using cloud to address the digital skills gap“, 10. August.
CNAF. 2020. Beratung und Begleitung für Mitarbeitende während der Pandemie (Gute Praxis in der sozialen Sicherheit). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
DRV Bund. 2020. Keep a finger on the pulse! An interactive feedback tool to guide a successful transition to digitalized work environment. Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
Gujral, G. 2016. „Reshaping the social security agency around improved human capital and technology”, in International Social Security Review, Bd. 69, Nr. 3–4.
IVSS. 2019. Leitlinien der IVSS über Good Governance (Überarbeitete Ausgabe). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
IVSS. 2022. Leitlinien der IVSS über Personalmanagement in der Verwaltung der sozialen Sicherheit. Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
McKinnon, R. 2010. „Eine alternde Erwerbsbevölkerung und strategisches Personalmanagement: Personalprobleme für die Behörden der sozialen Sicherheit“, in Internationale Revue für Soziale Sicherheit, Bd. 63, Nr. 3–4.
ONEM. 2020. Rekrutierung und Ausbildung: beschleunigte digitale Transformation für das Personal während der Coronakrise (Gute Praxis in der sozialen Sicherheit). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
Ortiz, M. D. 2022a. Neuausrichtung des Personals der sozialen Sicherheit: Hintergrund der Leitlinien der IVSS über Personalmanagement in der Verwaltung der sozialen Sicherheit . Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
Ortiz, M. D. 2022b. Innovating HRM in an evolving environment. Managing human resources in an ever-evolving context – A European perspective (IVSS-Webinar, 9. Juni). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
Sodra. 2020. Kein Mangel mehr an IT-Kompetenzen: Superuser (Gute Praxis in der sozialen Sicherheit). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
UNCASS. 2022. Managing human resources in an ever-evolving context – A French perspective (IVSS-Webinar, 9. Juni). Genf, Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit.
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