Die Entwicklung von Programmen und Systemen der sozialen Sicherheit ist eine der bedeutendsten sozialpolitischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Dennoch bleiben Stärkung und Ausdehnung der sozialen Sicherheit eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte.
Was ist soziale Sicherheit?
Soziale Sicherheit lässt sich als jegliches durch Gesetz oder eine andere verbindliche Regelung eingerichtetes Sozialschutzsystem definieren, das dem Einzelnen ein gewisses Maß an Einkommenssicherheit bietet, wenn dieser mit Risiken wie Alter, Hinterbliebenenschaft, Arbeitsunfähigkeit, Invalidität, Arbeitslosigkeit oder Kinderversorgung konfrontiert wird.
Sie kann auch Zugang zur medizinischen Behandlung oder Prävention vermitteln. Gemäß der Definition der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit gehören zur sozialen Sicherheit Sozialversicherungssysteme, Sozialhilfeprogramme, universelle Systeme, Systeme von Hilfsvereinen auf Gegenseitigkeit, nationale Vorsorgefonds und andere Formen, darunter marktorientierte Konzepte, die der nationalen Gesetzgebung oder Praxis zufolge Teil des Systems der sozialen Sicherheit eines Landes sind.
Ein universelles Recht
Die ersten auf eine Pflichtversicherung gestützten Systeme der sozialen Sicherheit wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Europa geschaffen. Erst im Laufe der 20. Jahrhunderts entwickelten sich allerdings nationale Systeme der sozialen Sicherheit in größerem Umfang rund um den Erdball, nicht zuletzt als Ergebnis der Entkolonialisierung und der Schaffung neuer unabhängiger Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Entwicklung der sozialen Sicherheit wurde auch von verschiedenen internationalen Konventionen und Rechtsinstrumenten unterstützt, wobei die Anerkennung der sozialen Sicherheit als grundlegendes Menschenrecht durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 erfolgte. In einigen wenigen Ländern, z.B. in Deutschland und Brasilien, ist die soziale Sicherheit ein in der Verfassung garantiertes Recht. Heute haben die meisten Länder ein System der sozialen Sicherheit in irgendeiner Form. Weltweit gesehen, sind Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenrentensysteme am häufigsten anzutreffen, gefolgt von Programmen, die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Krankheit und Mutterschaft, Arbeitslosigkeit sowie Familienbeihilfen vorsehen.
Begrenzter Zugang
Man schätzt heute, dass, rund 50 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zur sozialen Sicherheit in irgendeiner Form hat, aber nur 20 Prozent über eine angemessene Deckung durch die soziale Sicherheit genießen.
Die Ausweitung der Deckung ist daher eine wichtige Herausforderung für die Träger der sozialen Sicherheit in allen Weltregionen. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn gleichzeitig breitere politische Fragestellungen berücksichtigt werden, darunter die demografische Alterung der Bevölkerung, sich ändernde Familienstrukturen, die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung, das Wachstum der informellen Arbeitsmärkte sowie die Entwicklung von Epidemien und Umweltfragen.
Soziale Sicherheit ist der Schlüssel zu einer langfristigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung
Die soziale Bedeutung der Systeme der sozialen Sicherheit für die Gesellschaft wird heute weitgehend akzeptiert. Es besteht allerdings weniger Einvernehmen bezüglich der Frage der wirtschaftlichen Bedeutung der Systeme der sozialen Sicherheit. Immerhin gewinnt die Auffassung, dass die Systeme der sozialen Sicherheit als Produktivitätsfaktor in der wirtschaftlichen Entwicklung zu verstehen sind, an Boden.
Wenn man nach Argumenten für die wirtschaftliche Bedeutung der Gewährung von sozialer Sicherheit sucht, ist die Geschichte der sozialen Sicherheit in Europa besonders lehrreich. Viele europäische Länder führten Systeme der sozialen Sicherheit in einem frühen Stadium ihrer Entwicklung ein, bevor sie zu reichen Gesellschaften wurden. Die europäische Geschichte zeigt auch, dass effiziente Volkswirtschaften und wirksame Systeme der sozialen Sicherheit Hand in Hand gehen und wachsen können, und dass letztere die ersteren nicht bremsen. Natürlich müssen alle Länder ihre Systeme der sozialen Sicherheit gemäß ihren sozioökonomischen Bedürfnissen und Rahmenbedingungen gestalten. Nichtsdestoweniger enthält die europäische Erfahrung eine deutliche Botschaft für die Entwicklungsländer: Effektive und effiziente Systeme der sozialen Sicherheit sind der Schlüssel zu einer langfristigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung.
Der Weg in die Zukunft: eine dynamische soziale Sicherheit
Die IVSS fördert das Konzept einer dynamischen sozialen Sicherheit (DSS), das die innovative Nutzung einer integrierten, proaktiven und vorausschauenden Politik der sozialen Sicherheit unterstützt, mit dem kurzfristigen Ziel des Aufbaus besonders leistungsfähiger Organisationen der sozialen Sicherheit. Hinter diesem Konzept steht die Auffassung, dass effektive und gut verwaltete Organisationen von grundlegender Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der sozialen Sicherheit und letztlich ihre Tragfähigkeit sind. Auf der Grundlage dieses ersten Schritts besteht das langfristige Ziel der DSS darin, einen Beitrag zum universellen Zugang zu leisten, zumindest zu grundlegenden Geldleistungen und der primären Gesundheitsversorgung in allen Ländern.
Im Laufe ihrer Geschichte musste sich die soziale Sicherheit beständig anpassen. Heute jedoch, nach ihrem mehr als hundertjährigen Bestehen, geht es darum, dass das Recht auf soziale Sicherheit für alle Menschen' Wirklichkeit wird.